Ein- und dreijährig

(1890.)

Daß in zwei Jahren der Soldat
Das lernt, was ihm zu lernen nöthig,
Ist selbst der Generale Rath
Uns einzuräumen halb erbötig,
Sie fühlen wohl der Wahrheit Wucht,
Doch sagen sie mit strenger Miene:
„Es fordern Disziplin und Zucht,
Daß jeder Bengel drei Jahr’ diene.“

Zwei Jahre also braucht der Mann,
Um den Paradeschritt zu storchen;
Im dritten Jahr erlernt er dann
Die Zucht, die Ordnung, das Gehorchen,
Die aber sind des Pudels Kern,
Denn, wie Caprivi sie uns schildert,
Sind diese zwanzigjähr’gen Herrn
Auf schauerliche Art verwildert.

Schon in der Schule, aufgehetzt
von schändlich list’gen Demokraten,
Ist man mit zwanzig Jahren jetzt
Ein ausgemachter Teufelsbraten.
Um das Gefühl für Zucht und Pflicht
Per Korporal an ihm zu wecken,
Muß man den zügellosen Wicht
Drei Jahre in die Jacke stecken.

So hat der Kanzler uns geklagt
Mit ernsten, sorgenvollen Mienen,
Doch hat kein Wörtchen er gesagt
Von denen, die ein Jahr nur dienen.
Wann ernten sie die edle Frucht?
Sobald ihr Haupthaar kurz geschoren?
Wie, wären Disziplin und Zucht
Bei ihnen etwa angeboren?

Soll sich des Ungehorsams Sucht
In dieser Jugend niemals rühren
Und sitzen Disziplin und Zucht
In bunten Achselklappen-Schnüren?
Hier hat das Wort die Polizei!
Wenn sie nur will, wird sie gestehen,
Mit dieser deutschen Jugend sei
Besonders schwierig umzugehen.

Hier freilich heißt es stets: „Was thut’s?
Es gährt der Most sich klar zur Tugend.
Das Vorrecht „heitren Uebermuths“
Gewähren wir der goldnen Jugend.“
Dort ist es „Geist der Rebellion,“
Wofür man drei Jahr’ Stechschritt wandelt;
Hier, bei dem feinen „höhern Sohn,“
Wird es als „witz’ger Ulk“ behandelt.

Und da man nicht vergleichen darf,
Was ewig ungleich ist auf Erden,
Muß der Plebejer schneidig-scharf
Drei Jahre lang erzogen werden;
Doch wer die Schnüre sich ersaß,
Der braucht nicht Fuchtel noch Kandare,
Der lernt – und noch dazu mit Spaß –
Den ganzen Kram in einem Jahre.

Collection: 
1893

More from Poet

  • (1889.)

    Als zu des schönen Friedensfestes Feier
    Die Reiche alle la belle France entbot,
    Da barg ein jedes hinter dichtem Schleier
    Der Wange züchtiges, verschämtes Roth.
    Von jedem kam ein höflich kühles Schreiben –
    Sie lehnten...

  • (1890.)

    Das giebt ein ehrenreiches Jahr!
    Du zwanzigster des Februar,
    Wir werden dein gedenken
    In hoher Lust, in Mannesstolz,
    Bis sie im Sarg von Tannenholz
    Uns in die Erde senken.

    Nach langer Nacht ein glorreich Licht!
    ...

  • So oft ich noch zu Büchern der Geschichte
    Geflüchtet mich in stiller, tiefer Nacht,
    Der ernsten Sammlung tragischer Gedichte,
    Wie sie kein Träumer brennender erdacht,
    Hab’ ich die Blätter umgewandt mit Beben
    Und scheu geschlossen das gewicht’ge Buch,
    ...

  • (Letzte Nummer des „Sozialdemokrat,“ 27. Sept. 1890.)

    Ihr habt über ihn das Exil verhängt,
    Ihr Ritter von Bibel und Säbel;
    Ihr habt an den Fuß ihn der Gletscher versprengt
    Und in Englands stickige Nebel;
    Doch hat er sich allzeit der Feinde...

  • Ich habe kaum ein Wort mit dir gesprochen,
    Ich habe kaum ins Auge dir gesehn,
    Und dennoch hast du meinen Stolz gebrochen –
    Ein süßes Wunder ist an mir geschehn;
    Doch ward die Saat des Glückes, kaum entsprossen,
    Von scharfer Sichel nieder auch gemäht –
    ...