Der Hünenstein

Der Hünenstein .
 (Eine westfälische Volkssage.)

Vom Mechtenberg ¹) der Hüne
Schloß einen Freundschaftsbund
Mit dem vom Tippelsberge ²),
Die Sage gibt es kund.
Gemeinsam hielten beide
Gelag’ und Kumpanei,
Doch auch zur Arbeit kamen
Gemeinsam sie herbei. –

Sie buken und sie brauten
Befreundet Brot und Bier,
Der eine bei dem andern,
Abwechselnd dort und hier.
Und mußten neu sie backen,
Derweil der Vorrat bar,
So wurde Bäckermeister,
An dem die Reihe war. –

Er schürte dann den Ofen
Mit Scheiten klobig rauh
Und prüfte seine Hitze
Bedachtsam und genau.
Und war der Ofen fertig,
Zu heiß nicht und zu schal,
Dann gab der wack’re Hüne
Dem Freunde das Signal.

Doch nicht durch Hornesstoße,
So wie es Roland pflog –
Er kratzte nur die Reste
Des Brotteigs aus dem Trog. –
Doch klang’ auch dieses Kratzen
Nicht ganz gelind’ und leis’,
Die Hünenkraft, die starke,
Gab ihm die rechte Weis’. –

Wie lauter Donner dröhnte
Weit, weit hinaus der Schall,
Der and’re aber hörte
Auf seiner Burg den Hall.
Er wußte, daß der Ofen
Zum Einstich jetzt bereit
Und säumte nicht und brachte
Das Brot zur rechten Zeit. –

So hatten sie seit Jahren
Zusammen treu geschafft,
Da kam der Tag, der böse,
Der alles fortgerafft. –
Der ihrem Freundschaftsbunde
Jäh gab den Todesstoß –
Und war die Ursach’ nichtig
Die Wirkung sie war groß. –

Sie mußten wieder backen,
Und treu nach dem Vertrag
War auf dem Mechtenberge
Für diesmal Bäckertag. –
Hier regten sich geschäftig
Schon Herre und Gesind’,
Doch auf dem Tippelsberge
Blies nicht derselbe Wind. –

Verdrießlich war der Hüne
Am Morgen aufgewacht,
Er hatte schwer gebechert
Am Abend vor der Nacht. –
Noch lag’s ihm in den Gliedern
Wie Blei von dem Gelag’,
Doch mußte er sich rühren,
Weil heute Bäckertag. –

So kam’s, daß nicht von statten
Ihm heut’ die Arbeit ging
Und trotz des vielen Schweißes
Doch der Erfolg gering. –
Daß ihm die Fäuste müde,
Die Arme lahm und schlaff,
Und daß der Teig noch immer
Nicht fertig war im Haff. –

Und plötzlich hallt ein Dröhnen
Wie Donner durch die Luft –
Das ist der Mechtenberger,
Der ihn zum Einstich ruft.
Nun darf er nimmer säumen,
’s ist höchste Eile not,
Und ob der Teig nicht fertig,
Und wird gleich schlecht das Brot.

Und wieder hallt ein Dröhnen,
Und stärker noch wie vor,
Schon ist der Hüne draußen,
Weit von des Schlosses Tor. –
Und mißt er sonst die Strecke
In hundert Sprüngen ab,
Heut’ werden’s kaum noch fünfzig,
So läuft der Riese Trab. –

Noch nie zum Mechtenberge
Hat so sein Fuß gerannt,
Doch war die Eile nutzlos,
Wie er zu spät erkannt. –
Noch war der Teig nicht fertig,
Der Ofen nicht bereit,
Er hätte warten können
Noch stundenlange Zeit. –

„Warum“, brüllt er im Grimme,
„Hast du mich so geneckt,
Und an dem Trog gescharret,
Wo nichts dahinter steckt? –
Nun ist mein Brot verdorben
Durch deine Schuld allein,
Warum gabst du das Zeichen
Lang’ vor dem Fertigsein?“ –

Da lacht der Mechtenberger,
Daß fast das Zwerchfell platzt:
„Ich hab’, weil es mich juckte,
Die Rippen nur gekratzt. –
Sonst ist kein Laut gekommen
Von meiner Burg zu dir,
Wenn and’res du vernommen,
Was kann denn ich dafür?“ –

„Genug! Zu viel!“ Der Tippel
Hat’s heiser nur gestöhnt,
Dann ist er fortgestürmet,
Daß laut die Halle dröhnt. –
Und wiederum in Sprüngen
Jagt er den Weg zurück,
Doch stößt ihm jetzt die Rache
Die Sporen ins Genick. –

Schon nah’ dem Tippelsberge,
Hemmt plötzlich er den Lauf,
Ein Felsblock liegt am Wege,
Er hebt ihn grimmig auf
Und dann mit starkem Schwunge,
Dem Hünen kracht’s Gebein,
Fort schleudert er in Lüften
Den ungeheuren Stein. –

Wär’ nicht sein Fuß gestrauchelt,
Indem der Wurf geschah,
Dann weh’ dem Mechtenberger!
Das Unheil war’ ihm nah’. –
Es hätte ihn zerschmettert
Das riesige Geschoß,
So aber schlug es nieder
Noch hart vor seinem Schloß. –

Das kündet uns die Sage –
Auch liegt am Wegesrain
Zu Ueckendorf noch heute
Der große Hünenstein. –
Still zeugt der Felsenriese,
Aus Tagen alt und grau,
Noch von den Enakssöhnen
In uns’rem Heimatgau. –

Collection: 
1909

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