Den Toten

Es war am Abend, der uns Sieg auf Sieg
Aus jedem Gau in rascher Folge brachte;
Doch wenn der Jubel auf Minuten schwieg –
Ja, wißt ihr auch, was ich im Stillen dachte?
Ich dachte derer, die man schlafen trug
Und die der Sieg, in dem das Herz sich sonnte,
Und all der Jubel, der zum Himmel schlug,
Im Schoß der Erde nicht erreichen konnte.

Ein Schatten senkte sich auf meine Brau’n,
Und in der Seele ward es trüb und trüber;
Ein langer Zug, wehmütig anzuschaun,
Zog Arm in Arm an meinem Blick vorüber.
Ich hatte alle, alle sie gekannt
Und sie geliebt um ihrer Treue willen,
Ich hatte Waffenbrüder sie genannt,
Und ihr Gedächtnis pflegte ich im Stillen.

Sie brachen einst begeistert uns die Bahn,
Sie haben kühn für die Idee gestritten,
Sie haben schweigend, wenn sie finstrer Wahn
Mit Steinen warf, das Härteste gelitten;
Wenn sie die Schlange der Verleumdung stach,
Hat überzeugter nur ihr Mund gesprochen,
Und als im Tod ihr treues Auge brach,
War nur ihr Leib, doch nicht ihr Mut gebrochen.

Der bessern Zukunft haben sie vertraut,
Nachdem fürs Volk die Waffen sie geschliffen,
Doch hätten sie den Junisieg geschaut,
Er hätte tiefer sie als uns ergriffen;
Hat auch der Kleinmut niemals sie erdrückt
Und sahen niemals sie das Ziel verschwimmen –
Wie hätten sie erschüttert und entzückt
Trotz alledem die drei Millionen Stimmen!

Als überall die Menge noch getanzt
Um ein Idol, sogar im roten Sachsen,
Da haben sie ein zartes Reis gepflanzt –
Wie rasch und stolz ist es zum Baum erwachsen!
Gebt ihre Asche nicht den Winden preis,
Die ihr die Frucht all ihrer Mühen pflücket –
Es sei des Lorbeers reichstes, frischstes Reis,
Mit dem ihr dankbar ihre Urnen schmücket!

Collection: 
1903

More from Poet

  • (1889.)

    Als zu des schönen Friedensfestes Feier
    Die Reiche alle la belle France entbot,
    Da barg ein jedes hinter dichtem Schleier
    Der Wange züchtiges, verschämtes Roth.
    Von jedem kam ein höflich kühles Schreiben –
    Sie lehnten...

  • (1890.)

    Das giebt ein ehrenreiches Jahr!
    Du zwanzigster des Februar,
    Wir werden dein gedenken
    In hoher Lust, in Mannesstolz,
    Bis sie im Sarg von Tannenholz
    Uns in die Erde senken.

    Nach langer Nacht ein glorreich Licht!
    ...

  • So oft ich noch zu Büchern der Geschichte
    Geflüchtet mich in stiller, tiefer Nacht,
    Der ernsten Sammlung tragischer Gedichte,
    Wie sie kein Träumer brennender erdacht,
    Hab’ ich die Blätter umgewandt mit Beben
    Und scheu geschlossen das gewicht’ge Buch,
    ...

  • (Letzte Nummer des „Sozialdemokrat,“ 27. Sept. 1890.)

    Ihr habt über ihn das Exil verhängt,
    Ihr Ritter von Bibel und Säbel;
    Ihr habt an den Fuß ihn der Gletscher versprengt
    Und in Englands stickige Nebel;
    Doch hat er sich allzeit der Feinde...

  • Ich habe kaum ein Wort mit dir gesprochen,
    Ich habe kaum ins Auge dir gesehn,
    Und dennoch hast du meinen Stolz gebrochen –
    Ein süßes Wunder ist an mir geschehn;
    Doch ward die Saat des Glückes, kaum entsprossen,
    Von scharfer Sichel nieder auch gemäht –
    ...