Nun ist schon manches liebe Jahr

Nun ist schon manches liebe Jahr,
Da jedes von uns einsam war,
Vergangen.

Vom Suchen müd, vom Weinen matt,
Fand irgendwo ich eine Statt,
An der ich blieb und träumte:
Von einem jungen Frühlingstag,
Da deine Hand in meiner lag
Und alle Pflicht versäumte.

In meine große Einsamkeit
Von dir kein Wort in all der Zeit,
In hunderttausend Stunden.
Ich hörte nur von ungefähr,
Daß deine Seele traurig wär'
Und all dein Glanz verschwunden.

Ich weiß es wohl, du weißt es auch,
Von deinem Mund ein einz'ger Hauch,
Von mir zu dir ein einz'ger Laut -
Wir wären Bräutigam und Braut.

Und werden uns nicht wiedersehen -
Und werden leben und vergehn
In Sehnen und in Bangen.

Aus: Carl Sternheim Gesamtwerk
Band 9: Unveröffentlichtes Frühwerk II
Lyrik Dramenfragmente Prosa
Herausgegeben von Wilhelm Emrich
Hermann Luchterhand Verlag Neuwied am Rhein, Berlin 41 1970

Collection: 
1967

More from Poet

  • Als mir ein wundersames blasses Kind
    Die alte matte Freudenschale gab
    Zu trinken, nahm ich, trank und sank hinab
    Ins Nebelgrab, war wieder jung und blind.

    Was ich durch hartes Ringen mir errang
    Es starb, als ich berauscht von...

  • Wie weiße Narzissen
    Ist mein bleiches Gewissen,
    Ein wirrender Duft,
    Ein Schreien.

    Einst war es wie Veilchen,
    Das ist nun ein Weilchen,
    Eh ich das gewußt:
    Zu zweien.

    Aus: Carl Sternheim...

  • 1.

    Um unsre Plätze ist ein heilig Schweigen,
    Und unsre Flüsse hält ein großes Stocken,
    Von unsern Bäumen tiefes Niederneigen,
    Und in den Lüften zittern wirre Glocken.

    Ich schreite einsam zu den weißen Steinen
    Und...

  • Ich leg dir Sterne in dein Mädchenbett,
    Sie werden sich an deine Reinheit schmiegen
    Und lächelnd da wie bei Verwandten liegen.

    Und sinke glücklich nieder im Gebet:
    Du bist ein gutes Kind, dein Herz ist rein,
    O dieses ganze...

  • Sieh, dort fällt ein Vogel ein
    in das hohe grüne Gras,
    weißt du das,
    was mag es für ein Vogel sein?

    Halt! da ruft er. Komm doch nah,
    leise, daß er uns nicht hört,
    Schritt um Schritt, gleich sind wir da,
    ...