Am 30. September 1813

Der fernen Gattin

1.
Honiglippe, Rosenmund,
Küsse mich zu jeder Stund'!
Arme, weich und wonniglich,
Liebesketten, bindet mich!

Dunkel ist das Felsenthal
Und der Steg ist schwank und schmal;
Doch du leuchtest mir so gern,
Himmelsfunken, Augenstern.

Athem, Rede, Druck und Kuß,
Aller Wonnen Ueberfluß,
Engelseele, Götterleib,
Mein das allerschönste Weib.

Alles, alles das war mein;
Muß nun so verlassen seyn!
Sänk' ich blutend in der Schlacht,
Niemand hätte meiner Acht!

Wanke nicht mein guter Muth,
 Lust am Leben, warmes Blut,
Daß der Schmerz mich nicht verzehrt,
Eh' mein Himmel wiederkehrt.

Ach, ich bin so blaß und krank,
Wüßte wohl dem Arzte Dank!
Honiglippe, Rosenmund,
Sprich, wann machst du mich gesund?

2.
O könnt' ich zu Dir fliegen,
Ein Vögelein, in Eil,
An deine Brust mich schmiegen,
Da träfe mich kein Pfeil.

O gält es nur zu schwimmen
Durch wilde, weite See,
Oder hinanzuklimmen,
Die steilste Felsenhöh!

Das wäre wohl ein Leichtes
Um solch ein Himmelsgut;
Allein kein Blick erreicht es,
Kein Wünschen und kein Muth.

Doch muß ich stets mich wenden
Zu deiner Gegend hin
Und immer Grüße senden
Voll treuem Liebessinn.

Collection: 
1862

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