Knospe und Blüthe
Bin ich, Liebste, Dir zur Seite,
Bist Du froh und wohlgemuth;
Bin ich Dir, o Liebste, ferne,
Strömet Deine Thränenfluth.
Nicht die Sehnsucht nur alleine
Wandelt durch des Busens Raum,
Nein, Du denkst an den vergangnen,
Ausgeträumten Kindertraum.
Hör' mir zu! Ich will erzählen
Von den Blumen auf dem Feld.
Niederfließt der Strahl der Sonne,
Wenn der Lenz die Knospe schwellt.
Von dem blauen Aether nieder
Mild der Strahl der Sonne fließt,
Bis die Knospe wird zur Blüthe,
Bis die Blüthe sich erschließt.
In des Kelch's geheimste Tiefen
Taucht hinein der Sonnenstrahl;
Leise, wonnebebend küßt er
Jedes Blättchen tausendmal.
Und beseligt hat die Blume
Zu der Sonne aufgeschaut,
Doch am Abend ist die Thräne
In den Blumenkelch gethaut.
An die Sonne denkt die Blüthe
Und sie weint in stillem Leid,
Weinet um die nun verlorne,
Nun vergangne Knospenzeit.
War doch ihres Blühens Wonne
Ihres Knospenlebens Grab!
O, sie grollt dem Strahl der Sonne,
Der den Kuß dem Kelche gab.
Sieh, da steigt die Sonne wieder!
Purpurn glüht das Wolkenheer;
Jubelnd klingen Lerchenlieder
Und die Blume weint nicht mehr.
Alle Thränen schwinden müssen
Vor dem Sonnenschein geschwind. -
Laß mich Deine Thränen küssen
Von den Wimpern, liebes Kind!