Die Liebe
Du güldnes Licht und Auge dieser Welt,
Der Mond, er1 borgt sein Silber zwar von dir;
Du aber Gold2, Saphir des Himmels Zelt,
Die Sterne Oel, die Erde Geist von mir,
Die Schnecke Blut, die See Perl' und Korallen,
Die Kräuter Saft, die Felsen Bergkrystallen.
Lernt nun, was ich für eine Göttinn bin!
Mein Tempel ist Luft, Himmel, Erde Fluth;
Ja, die Natur selbst ist die Priesterinn,
Die Schönheit Zunder, die Begierde Gluth;
Der Anmuth Blitz steckt die geweihten Kerzen
Der Sinnen an; das Opfer sind die Herzen.
Mein Saame wird geflößt den Seelen ein,
Eh' in den3 Mund der Brüste Milchquell rinnt;
Mein Brand erweicht der Herzen Kieselstein,
Wo Zeit und Tod zu stumpfe Feilen sind.
Wer widerspricht nun, daß man mir mit Rechte
Die Lorbeerzweig' um meine Myrte flechte?
Zeit und Tod
Die Liebe mißt sich4 hochvermessen bei
Der Gottheit Kraft, den Zepter aller Welt;
Die Zeit, der Tod bricht Alles morsch entzwei,
Was die Natur, was Lieben in sich hält;
Vom Abgrund an bis über Mondes Grenzen
Sieht man der Zeit, des Tode Sichel glänzen.
Die Liebe
Braucht, wie ihr wollt, die Arme eurer Kraft,
Laßt euren Zorn an morschen Wipfeln sehn;
Genug, daß ihr Nichts an den Cedern schafft,
Die nur durch mich wohl eingewurzelt stehn.
Deun Nichts nicht5, was mein Lorbeerschatten decket,
Wird durch den Blitz, durch Zeit und Tod erschrecket.
Die Zeit
Die Zeit verzehrt nicht nur Erz und Porphyr;
Der Himmel schrumpft durch sie vor Alter ein.
Fluth, Gluth und Wurm dient zur Vertilgung mir;
Der Sterne Glanz wird durch mich blaß und klein.
Wie sollte denn vor meiner Flügel Stürmen
Die Liebe mächtig sein, sich zu beschirmen?
Der Tod
Der Erdkreis ist der Schauplatz meiner Macht;
Was Zeit und Mensch gesä't hat, ernt' ich ein;
Mir ist der Lenz oft Herbst, der Mittag Nacht;
Niemanden schützt Gold, Purpur, Inful6, Stein.
Wie sollten denn der Liebe Spinneweben
Genugsam Schirm für meine Pfeil' abgeben?
Die Liebe
Wenn Tod und Zeit und Ehrensucht und Pein
Der Unschuld Mast, der Seele Schiff bekämpft,
Muß ich der Port, das Schild, der Anker sein;
Des Neides Dunst wird durch mein Licht gedämpft;
Den Rauch der Zeit theil'n meiner Fackeln Flammen,
Mein güldner Pfeil des Todes Strick vonsammen.7
Die Zeit
Ohnmächt'ge Gluth und Fackel deiner Hand!
Kein Blick verstreicht8, dein lodernd Wachs nimmt ab;
Dein Docht verglimmt, dein Oel rinnt in den Sand;9
Dein Werk10, die Asch', ist selbst der Flammen Grab;
Ist auch gleich noch dein Zunder unverzehret;
Schau, augenblicks wird Strahl in Staub verkehret!
Die Liebe
Die Zeit versehrt der Liebe Zunder nicht,
Ob sie die Gluth gleich außen dämpfen kann;
Die Lieb' empfängt11 zwiefache Flamm' und Licht
Oft, wenn man sie am heftigsten ficht an,
Und wenn die Nacht den Himmel schwarz will malen,
So sieht man ihn mit tausend Ampeln strahlen.
Der Tod
Ohnmächt'ger Pfeil! ein einz'ger12 Sterbenshauch
Verkehrt das Gold der Lieb' in weiches Blei;
Ihr Sonnenschein wird in dem Sarge Rauch;
Mein dürrer Arm bricht Pfritsch13 und Pfeil entzwei,
Und das Geschoß, das meine Faust zerbrochen,
Giebt Brennholz ab für dürre Todtenknochen.
Die Liebe
Zerbricht der Tod der Sinnen Pfeile gleich,
Wird schon mein Strahl in todten Gliedern kalt,
So ist der Leib doch nicht mein Sitz und Reich,
Die Seelen sind des Liebens Aufenthalt.
Verweset schon der Körper in der Höhle,
So lebt die Lieb' unsterblich in der Seele.
1 Monde
2 Du aber borgst dein Gold, der Himmel den Saphir etc. von mir.
3 Eh' als in
4 ihr
5 Doppelte Negation statt der einfachen: Nichts.
[6 inful = mitra]
7 von einander
8 Kein Augenblick geht vorüber, so nimmt u.s.w.
Oder ist statt "Kein" Dein zu lesen?
9 Oele rinnt in.
10 Brut
11 Die Liebe kriegt
12 fauler
13 Im Niederdeutschen: Flitz, Pfeil, Bolzen
aus: Bibliothek deutscher Dichter
des siebzehnten Jahrhunderts.
Begonnen von Wilhelm Müller Fortgesetzt von Karl Förster
Band XIV. Auserlesene Gedichte von Christian Hoffmann
von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein,
Christian Wernike, Friedrich Rudolf Ludwig Freiherr von Canitz,
Christian Weise, Johann von Besser, Heinrich Mühlpfort,
Benjamin Neukirch, Johann Michael Moscherosch und
Nicolaus Peucker. Leipzig F. A. Brockhaus 1838