Frühlingssonne

O Sonnenschein, mein Herz ist wach
Für Deine goldne Wonne,
Du ziehst mich Deinen Strahlen nach,
Du klare Frühlingssonne!

Du machst mein Herz so weit und weich,
Und doch so schwer zu tragen.
Du hebst mich bis zum Himmelreich
In diesen sonnigen Tagen.

Ich ziehe mich, ich halte still
Und strecke mich Dir entgegen,
Und warte, was da werden will,
Aus all' dem sonnigen Segen!
---

Was soll es werden, wenn die Sonne
Sich nimmermehr zufrieden giebt,
Wenn sie mit täglich neuer Wonne
Die Herzen überströmt und liebt.

O sieh, wie eine jede Blüthe
Zu Boden neigt ihr Angesicht,
Daß Gottes reiche schwere Güte
Ihr wonnetrunknes Herz nicht bricht.
---

Mir ist als müßt ich singen
Ein Lied so wunderbar,
Als müßt' es mir gelingen,
Wie's nie gelungen war.

Als müßt es aufwärts steigen,
So hoch wie nie zuvor
Und dennoch muß ich schweigen,
Weil ich mein Lied verlor.

aus: [Anna Karbe] Immergrün
Lieder einer früh Heimgegangenen
Mit einem Vorworte von Emil Frommel
Berlin Verlag von Wiegandt & Grieben [1876]

Collection: 
1876

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