Der Frühlingswind spricht:
Schneeglöckchen schläfst Du noch?
Schneeglöckchen höre doch!
Ueber die Berge bin ich gekommen,
Da hab ich ein süßes Klingen vernommen.
Dort in der Ferne, dort in der Weite,
Hat schon begonnen das Frühlingsgeläute.
Da hört ich ein heimliches Singen und Klingen
Wie Frühlingsahnung die Luft durchdringen.
Und wie ich mich bücke und wie ich mich neige
Zur heimlichen Stelle, durch Dornengezweige,
Da sah ich ein Blümlein, so weiß wie der Schnee,
Das läutete jubelnd: Nun Winter ade!
Und wie es denn meinen Athem gefühlt,
Da hat es lange mit mir gespielt,
Da mußt ich von meinen Reisen sagen,
Und Grüße hat es mir aufgetragen.
Ich sollte alle die Schwestern wecken,
Schlummernd unter den kalten Decken.
Es ist auch wohl Zeit!
Er ist nicht mehr weit!
Schon breitet der Frühling die wärmenden Flügel;
Da sprossen die Berge, die Thäler und Hügel;
Er ist auf dem Wege, der Frühling ist nah:
Schneeglöckchen erwache! Der Frühling ist da!
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Schneeglöckchen erwachet und schüttelt die Glieder,
Und wie es sich schüttelt, da tönen die Lieder,
Die Frühlingslieder, hin durch die Lüfte,
Wie Rosenahnung und Veilchendüfte.
Schneeglöckchen läutet, daß Frühling werde,
Und sieht sich nicht um auf der kahlen Erde,
Es läutet und läutet, und hat's nicht gesehn,
Wie rings im Thale die Schwestern erstehn.
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Das Veilchen kommt schüchtern und möchte noch nicht,
Verdeckt sich mit Blättern das süße Gesicht.
Doch wie ihm die Sonne ins Auge geschaut,
Da wird auch dem Veilchen so warm, so vertraut,
Und wie zu der Mutter mit wonniger Liebe
Erhebt es zur Sonne die duftigen Triebe.
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Du lächelndes Kind, noch kaum erwacht,
So perlenumleuchtet vom Thau der Nacht,
Da blühst du so kindlich, so lieblich und rein;
O Blümlein, wer möchte wie du nicht sein?
Ja Tausendschönchen, wie du so mild,
Ein Frühlingsliebling und Frühlingsbild!
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Da hebt das träumende Augenlicht
Vom Bachesspiegel - Vergißmeinnicht.
Es lächelt uns an so freundlich und mild,
Ein Kinderauge, ein Himmelsbild.
Es blühet und lächelt und fraget und spricht -
O kannst du's verstehen? - Vergißmeinnicht!
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Auf schwellendem Moose im duftenden Schatten,
Da läutet ein Glöcklein auf glänzenden Matten,
Maiglöckchen läutet und schüttelt die Locken;
Es lächelt und jubelt und weinet dabei,
Und Thränen hängen an allen Glocken,
Vor Wonne und Liebe im seligen Mai!
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Da plätschert's im Walde vom Hügel hernieder,
- Hier ist es verklungen - dort plätschert es wieder,
Da glänzt es wie Silber am sonnigen Tag,
Da leuchtet und sprudelt ein seliger Bach.
Es blühen viel Blumen auf Schritt und auf Tritt,
Die flehen zum Bächlein: O nimm uns mit!
Da werden die alten Steine zu Kindern,
Und mögen dem Bächlein das Springen nicht hindern.
Da jubelt das Bächlein im flüchtigen Lauf:
Ich habe es eilig, o haltet nicht auf!
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Und der bunte Schmetterling
Fliegt zur königlichen Rose,
Schaukelt sich im weichen Moose,
Sagt der Lilie tausend Grüße,
Bringt dem Veilchen Frühlingsküße,
Sagt der Nelke: guten Tag,
Zieht der bunten Tulpe nach,
Bis vor Frühlingslust und Licht
Ihm das kleine Herz zerbricht.
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Und drüben versinket die Sonne im Thal,
Es färbt sich das Wasser mir feurigem Strahl.
Dort wiegt sich der Fischer im schaukelnden Kahn;
Still zieht durch die Fluthen ein leuchtender Schwan.
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Auf smaragd'nen Blättern ruht
Rings umspielt von blauer Fluth,
Eine reine fleckenlose
Duftumfloss'ne Wasserrose.
Träumend blickt sie in die Höh',
Blickt hinunter in den See;
Ueber ihr der blaue Bogen,
Unten tief die sanften Wogen;
Ach, ihr macht das Herz so weit
Frühlingslust und Frühlingsleid.
Aus dem weißen Blätterschooß
Ringt sich eine Thräne los.
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Da stehen die Bäume im bräutlichen Kranz,
Da schwirren die Käfer im fröhlichen Tanz.
Die Nachtigall singet im Rosengezweig,
Der Frühling durchziehet sein blühendes Reich.
Es dunkelt - da steigen die Sterne empor.
Im Spätroth verschwindet der Wolken Flor,
Es gleitet in heller, in strahlender Pracht
Am funkelnden Himmel die Herrin der Nacht.
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Gute Nacht, gute Nacht
O Frühlingspracht!
Leuchtet ihr Sterne, rauschet ihr Bäume,
Sendet hernieder liebliche Träume!
Senke die Krone zum duftenden Moose,
Liebliche Rose!
Ringsum im Thal ist der Frühling erwacht.
Und die Nachtigall singt:
Gute Nacht, gute Nacht.
aus: [Anna Karbe] Immergrün
Lieder einer früh Heimgegangenen
Mit einem Vorworte von Emil Frommel
Berlin Verlag von Wiegandt & Grieben [1876]