Geduld ist nicht die thatenlose Stille,
Die kraftlos trägt, was sie nicht hindern kann,
Die dumpfe Schwäche, deren eigner Wille
Nur schweigt, weil ihr zu mühevoll die Bahn.
Nicht jenes willenlose Sichergeben,
Weil Widerstand doch nichts erreichen mag;
Geduld ist nicht dies träge, müde Leben,
Dies Leiden nur der Last von Tag zu Tag.
Geduld ist eine Kraft, die überwindet,
Sie kennt den Weg, ihr ist das Ziel gewiß.
Geduld ist Muth, der seine Bahnen findet,
Ob oft in Dornen auch das Herz zerriß.
Sie faßt die Last, die Gott ihr aufgegeben,
Sie sinkt darunter nicht, sie hebt sie auf.
Entgegen tritt sie kühn und frisch dem Leben;
Wie sie begann, vollendet sie den Lauf.
Geduld ist Frieden, der im Kampf nicht scheidet,
Geduld ist Freude, die im Leid nicht stirbt.
Geduld ist Muth, der nie ein Opfer meidet,
Geduld ist Jugend, die kein Herbst verdirbt.
Geduld ist unermüdlich, ohne Klage;
Sie hat sich ihren Weg nicht selbst gewählt,
Doch findet ihre Last sie alle Tage
Stark und gesund, bereitet und gestählt.
Geduld dringt durch und sei's durch tausend Wunden,
Sie läßt sie heilen, denn sie trägt sie still.
Sie hat schon auf dem Weg ihr Ziel gefunden,
Weil sie nichts andres will, als was Gott will.
Sie hört nicht auf, zu glauben und zu lieben,
Wenn Alles schwindet, Alles bricht und weicht.
Dann aber ruht sie aus, wenn sie dort drüben
All' ihrer Hoffnung ew'ges Ziel erreicht.
aus: [Anna Karbe] Immergrün
Lieder einer früh Heimgegangenen
Mit einem Vorworte von Emil Frommel
Berlin Verlag von Wiegandt & Grieben [1876]