Ein Schatten gleitet durch die Nacht
Bis an mein Bett und horcht und horcht.
Ein leises Rascheln von Battist,
Dann halbes Atmen sacht und süß.
Ich seh dich nicht, doch fühl ich dich,
Den Leib im kühlen Nachtgewande,
Das Köpfchen mit dem schweren Haar,
Du Süße, du mein junges Weib.
Und beugt sich langsam zu mir her,
Als wär's ein Kinderstreich zur Nacht.
Ein Hauch von Kuß auf beide Augen
Und sanfter noch auf meinen Mund.
Hoch will ich heben Hand und Arm,
Den jungen Nacken zu umwinden,
Die Lippen wölben wie zum Kuß,
Um ihre Lippen sanft zu fangen,
Die sel'gen Augen heimlich öffnen,
Um ihren lieben Blick zu trinken ...
Ich kann es nicht. Gefaltet ruh'n
Die Hände hinterm müden Scheitel,
Die Lippe bebt im Atem kaum,
Und schwer geschlossen bleibt der Blick.
Nur leis, wie Hauch der Juninacht,
Fließt unbegrenzte Zärtlichkeit
Aus ihrer Augen holder Nähe
Durch tausend Adern mir ins Herz.
So lieg ich da. So läg ich gern
Die armen Nächte meines Lebens,
Und käm das Sterben so zur Nacht,
Es träf mich wehrlos und beglückt.
aus: Leuchtende Tage. Neue Gedichte
von Ludwig Jacobowski
Dritte Auflage Berlin 1908