Grausam übst du die Macht über Götter und Menschen, o Eros!
Kein Gesetz ist dir heilig; du überschreitest nach Willkür
Kühn die Schranken der Pflicht, die streng den Menschen gebietet.
Frevelnd versendest den Pfeil du, den leichtbeschwingten, vom goldnen
Bogen, wie dirs gelüstet. Der sittlichen alten Gewohnheit
Achtest du nicht, und zerreissest die himmlischen
Bande der Freundschaft.
In der Jünglinge Brust, in den reichen Busen der Jungfraun
Giessest du lodernde Gluthen, der Liebe schmerzliche Sorgen
Und die bittere Qual des Vorwurfs beiden bereitend.
Keiner ist je dir entronnen, und sicher wähnt oft sich noch mancher,
Dem dein verderblicher Pfeil schon tief in den Busen sich senkte.
Scheust du sogar dich doch nicht, den Wolkenversammler Kronion,
Lieb' in der göttlichen Brust ihm entflammend vom hohen Olympos
Schmeichelnd oft herab zu ziehn in der Sterblichen Wohnung.
Ja, in wildumgreifendem Frevel schonest du selber
Nicht der lächelnden Mutter, der mirtenbekränzten Dione.
Aber allein geschützt vor dir und deinem Geschosse
Sind Mnemosynes Töchter, die lieblich redenden Musen,
Sie, die kundig des Lieds, und kundig der tönenden Leier,
Thaten der Menschen singen, so wie der unsterblichen Götter,
Welche die Liebe bethört; doch sie beschützt des Gesanges
Zauber; den Busen bewegt allein der liebliche Wohllaut.
aus: Lyrische Anthologie
Herausgegeben von Friedrich Matthisson
Siebenzehnter Theil
Zürich 1806