Mond und Schnee

Mond und Schnee, wie lieblich fließet
Euer sanfter Schein zusammen!
Stundenlang kann ich versenken
Aug' und Seele in die weißen
Lichtumflossenen Gefilde;
Doch ich hab' die stille Wehmuth
Manchmal nicht gewußt zu deuten,
Die aus ihnen mir entgegen
Wehet, wie ein leiser Zauber.
Heute, als ich stand am Fenster
Und in meinen Garten schaute,
Dessen weiß bereifte Bäume,
Feenhaft im Glanz des Mondes,
Wiegten ihre Silberzweige,
Schwebte zu mir ein's der Elfchen,
Die so oft mir Märchen bringen
Aus den hohen schlanken Wipfeln.

Mit dem kleinen Lilienfinger
Klopfte leise an das Fenster
Mir das goldbeschwingte Elfchen:
Oeffne mir! so sprach es bittend,
Und wie schnell hab' ich geöffnet!
Von den Flüglein erst behutsam
Schüttelte die feine Kleine
Ab des Schnees kalte Flöckchen,
Dann herein in's warme Stübchen
Huschte sie und wohlgefällig
Ließ sie zwischen duft'gen Blumen
Sich zu meinen Füßen nieder,
Und da hat sie mir vertrauet
Das Geheimniß, das so innig
Mond und Schnee zusammen einet.

Also sprach die kleine Elfe:
In dem Paradieses-Garten
Blühte eine selt'ne Blume,
Weiß und zart und glänzend schimmernd
Wie der Cherubinen Flügel,
Und gleich einer Weihrauchwolke
Wallten ihres Kelches Düfte,
Liebe spendend, Liebe hauchend.
An dem blauen Saphir-Thore,
Das verschließt den sel'gen Garten,
Stand die schöne weiße Blume,
Und wenn Nachts die Sterne zogen
In des Himmels weite Auen,
Reich geschmückt, im prächt'gen Reigen,
Grüßten freundlich sie die Zarte,
Und es hätte Mancher gerne
Länger wohl bei ihr geweilet
Und von Liebe ihr geflüstert;
Aber keiner von den vielen,
Glanz geschmückten, prächt'gen Sternen,
Rührte meine schöne Blume.
Nicht der Hesperus mit seinen
Sanften schwärmerischen Augen,
Nicht Orions Strahlenkrone,
Nicht des Schwanes Melodieen,
Nicht der Dioskuren Treue.
Machtlos senkte seinen Scepter,
Jupiter, der Glanz gekrönte,
Und die herrlichen drei Könige
Legten ach, umsonst ihr Opfer
Zu den Füßen ihrer Schönen.

Einem, einem nur erschlossen
War die reiche Blumenseele,
Einem nur, dem stillen Monde
Galt des schönen Hauptes Neigen,
Und der Mond, er neigte wieder
Huld'gend sich der weißen Blume,
Auf die zarten keuschen Lippen
Drückte er den Kuß der Liebe,
Manche stille Nacht belauschte
Das Geheimniß ihres Glückes,
Und die reinen Engel neigten
Gern die Flügel schützend nieder
Auf das sel'ge Liebespaar.
Ach, warum nicht ewig dauern
Konnten dieses Glückes Stunden!
Was denn hätte diese reine
Schöne Liebe wohl verbrochen?
Niemals werd' ich es begreifen
Warum feindlich man sie störte;
Welchen Schaden nur dem kleinsten
Wesen hätte bringen können
Das verborgne Glück der Beiden!
Wenn auch manchmal eine Stunde
Länger wohl der Mond geweilet,
Als er durfte, bei der Blume,
Hatt' er desto hell're Strahlen
Aus der Nähe seiner Lieben
Mitgebracht und sie ergossen
Auf die arme dunkle Erde;
Und die Blume hat erschlossen
Immer reicher ihre Blüthen
In dem Licht des holden Freundes;
Immer süßren Duft gespendet,
Allen, die sich ihr genahet.

Ach! die gute böse Sonne!
Nein! ich kann's ihr nicht vergeben
Was sie an dem Mond verschuldet
Und der schönen weißen Blume! -
Wie, die Sonne? - unterbrach ich
Staunend meine kleine Elfe,
Auf die Sonne kannst du schelten?
Auf die gute, große Sonne!

Ja, ich weiß wohl! sprach die Kleine,
Daß du ihr vor allen huldigst,
Lieder singst zu ihrem Preise
Und nach ihrem Licht sich neiget
Deine Seele, gleich der Rose.
Und gewiß, wer sollte lieben
Denn nicht auch die gute Sonne!
Ja, wohl ist sie gut und herrlich
Und sie pflegt am großen Herzen
Eine ganze Welt voll Liebe!
Aber, glaub mir nur - doch laß mich
Leise dir in's Oehrchen flüstern,
Daß nicht irgendwo ein Lüftchen
Hier im alten Dichterhause
Durch die morschen Wände lauschet
Und der Sonne hinterbringet
Was ich hab von ihr geplaudert.
Denn du kannst es wahrlich glauben
Unser armes Elfenvölkchen
Hat es manchmal schlimm bei ihr!
Unsre kleinen Schelmereien
Pflegt sie stets zu hintertreiben;
Oder streng und hart zu strafen.
Ach, wie manchen wunderschönen
Frühlingsball in heitren Nächten,
Wo der gute Mond so freundlich
Leuchtete zum lust'gen Tanze,
Hat sie uns nicht schon gestöret,
Wenn sie mit dem Flammenauge
Plötzlich in den Wald geblitzet,
Daß wir auseinander stoben
Mitten in der besten Freud'!
Und die kleinen Maitranksbecher,
Ach, an deren Rand so gerne
Nippen uns're rothen Mündchen,
Hat sie manchmal ausgegossen,
Weil sie meint: sie machten schwindlich
Und berauschten uns're Köpfchen.
O, ich mag davon nicht sprechen
Was sie uns nicht Alles, alles
Angethan schon hat, die Sonne!
Was für allerliebste Schwänkchen
Sie uns nicht schon hintertrieben!
Und vor Allem kannst du glauben
Ist sie abhold jeder Liebe.

Wie, der Liebe? rief ich wieder,
Sie, die allerfreu'nde Sonne
Könnte abhold sein der Liebe?
Geh, du bist ein albern Kindchen,
Das nicht weiß wovon es plaudert! -

Doch mit altklug wicht'ger Miene
Sprach das kleine Elfchen weiter:
Nicht der großen allgemeinen
Menschenlieb', hab ich gemeinet,
Daß sie abhold sei, die Sonne,
Nein! - wie könnt ich das behaupten?
Seh' ich nicht auf Gut' und Böse,
Reich' und Arme, Groß und Kleine
Ihren Mutterblick gewendet?
Doch ich glaub' weil sie so viele
Lieben muß und sie erhalten
Kann sie's nicht begreifen, wie man
Einem Einz'gen mag gehören,
Einem Einz'gen nur mag leben
Und in dieses Einz'gen Augen
Kann der ganzen Welt vergessen.
Siehst du nicht wie scheu sich bergen
Die Verliebten vor der Sonne?
In dem Schatten dichter Lauben,
In dem Dunkel stiller Wälder
Tauschen ihrer Liebe Schwüre?
Wie sie nur der Nacht vertrauen
Und dem sanften, bleichen Monde
Das Geheimniß ihrer Herzen?
Ja, der Mond! der kann's verstehen,
Denn er hat ja selbst geliebet
Und gelitten, darum schauet
Auch so wehmuthvoll sein Auge
Und so tröstend auf die Thränen
Jeder tiefbetrübten Liebe -
Höre! wie es ihm ergangen:

Eines Morgens hat die Sonne
Ihren schönen Sohn gefunden;
Zu den Füßen seiner Blume
Wo er sich ein wenig länger
Hat verträumt, als sonst gescheh'n,
Ha! wie zornig ward die Sonne!
Hab' es nur zu gut gehöret,
Denn mit den Gespielen saß ich
In dem schönsten Silberwölkchen,
Das uns trug auf einer Lustfahrt
Durch das blaue Meer des Himmels.
Wär' uns beinah' schlimm ergangen!
Denn ein solches Ungewitter
Wie an diesem unglücksel'gen
Morgen losbrach an dem Himmel -
Hab' ich niemals noch erlebet.
Ha! die Sonne! die kann stechen!
Damals hab' ich es erfahren. -
Nein, du kannst mir nicht verdenken,
Daß ich ihr ein wenig böse
Und den Mond viel lieber habe,
Mit den stillen sanften Blicken.
Ja, der Zorn der stolzen Kön'gin
War nicht klein, kann ich dir sagen!
Einen trägen Träumer schalt sie
Ihren Sohn, der Bess'res könne
Thun, als hier mit Blumen tändeln,
Wer erleuchten und erfreuen
Müsse eine ganze Erde,
Dürfe einer solchen kleinen
Engen Liebe niemals pflegen;
Auch sei ihr gar sehr verhasset
Alles Heimliche, Verborgne!
Gut und schön sei nur was offen
Ausgesprochen, unverschleiert
Zeige sich vor allen Augen.

Ach, wir losen Elfchen haben
In dem hübschen Silberkähnchen
Sehr gekichert und gezittert
Nebenbei wohl auch ein wenig,
Als die Sonne dieses sagte.
Wir, des Mondscheins luft'ge Freundchen
Lieben gerade das Geheimniß,
Und Verstecken, Suchen, Rathen
Sind uns stets die liebsten Spiele.
Hast du es nicht auch erlebet,
Mußt du selbst es nicht gestehen:
Wie so bald sind alle Reize
Eines Glückes, das die Stille,
Die's gepflegt und großgezogen,
Abgestreift, entstellt, verblichen;
Wenn der dreiste Blick des Tages
Preisgegeben es der Menge? -
Hätt' ich einen Schatz, ich wollte
Wahrlich besser ihn verstecken
Als der arme Mond gethan.
Nein, kein Blick, kein einz'ger dürfte
Seine Schönheit mir belauschen!
Ja, belauschen nur, um neidisch
Sie hernach mir zu zerstören!
Denn so ist die Welt, die schlimme! -
Bin zwar nur ein kleines Elfchen,
Aber hab' doch manche Dinge
Schon erfahren und belauschet,
Weil ich mit den ätherleichten
Flüglein allenthalben flatt're,
Und in manchen Winkel husche.

Nun, ich glaub' es hätt' am Ende
Doch beruhigt sich die Sonne,
Da den Mond so sehr sie liebet
Und auch wohl der weißen Blume
War gewogen still im Herzen;
Doch ihr Schelten hatte leider
Eine ganze Schaar von Basen
Plötzlich sich herbei gezogen,
Böse, graue, schwarze Wolken;
Ganz meschante alte Jungfern,
Die mit Höckern auf dem Rücken
Und mit langen, langen Nasen
Und von Neid und Haß und Galle
Aufgeschwollen, aufgeblasen;
Waren gräulich anzusehen!
Ja, sie bersteten vor Bosheit,
Und da gab es ein Geklatsche!
Gab's ein Schelten und ein Brummen
Und ein tückisch' wildes Blitzen
Aus den grauen, falschen Augen!
O, wie häßlich angeschwärzet,
Wie verdunkelt und verfinstert
Wurde da der Mond, der Reine,
Daß auch nicht ein einz'ges weißes
Fleckchen mehr an ihm zu seh'n!
Und die Wolken nicht alleine
Auch ein alter rauher Oheim,
Von den Blumen Sturm geheißen,
Kam herbei, der hat getobet,
Hat gebrauset und gewüthet
Durch des Paradieses Garten;
Daß ich wahrlich glaubt' er wolle
Ihn bis auf den Grund zerstören.

In dem leichten Silberkähnchen
Hab' ich mich zur Noth gerettet
Mit den freundlichen Gespielen,
Aus dem grausen Ungewitter.
Ach, ganz bleich und ganz erschöpfet
Kamen wir zur Erde nieder,
Die wir arg verwüstet fanden,
Denn es hatte selbst die Sonne
In des Sturmes wildem Toben
Ihres Feuers Kraft verloren,
Ach, mit trüben matten Blicken,
Sah sie auf die Erde nieder,
Und da mußten freilich welken
Ihre Blumen, alle Bäume
Senkten klagend ihre Zweige.
Auch wir armen, zarten Elfchen
Ließen hängen uns're Flüglein,
Uns're lust'gen kleinen Flüglein -
Wie's doch eigentlich recht seltsam,
Traurig zugeht in der Welt! -

Und das Ende der Geschichte?
Fragt ich, als die Kleine finster
Schwieg und vor sich nieder schaute.

Ja, das Ende der Geschichte,
Sprach sie wieder, leis' aufseufzend,
War, daß meine zarte Blume
Von dem schönen Freund getrennet
Durch die strengen rauhen Mächte,
Von dem Sturm hinausgetrieben
Aus dem Paradieses-Garten,
Ist zerknickt in diesem Kampfe,
Ach zerknickt recht in der Mitte
Ihres liebereichen Herzens.
Ihre weißen Silberblüthen
Lösten sich in tausend, tausend
Kleinen, zarten, bleichen Flöckchen,
Und so sank sie, noch im Sterben
Hold und lieblich anzuschauen,
Auf die dunkle Erde nieder,
Einen weißen Leichenschleier
Breitend über das Gefilde.
Achtlos gehen rauhe Füße
Ueber sie, der Staub der Erde
Hat die reine Himmelsfarbe
Schonungslos schon oft beflecket,
Ihre Wärme ist entschwunden,
Und der Duft, der lebensfrische,
Der ein Paradies durchwehte,
Ist entflohn im Todessturme.

Aus den schwarzen Wolkenschatten
Hat ihr schöner Freund sich wieder
Rein und glänzend aufgeschwungen,
Seine hohe Bahn durchwandelt
Still und groß er, ohne Klage;
Doch wenn seine Blicke fallen
Auf den weißen Leichenschleier
Seines hingeschwund'nen Glückes,
Zittern sie in Schmerz und Liebe,
Und im Glanze dieser Blicke
Scheint sie wieder aufzuleben
Die zerstörte bleiche Blume,
Schön wie einst im Paradiese
Schimmern ihre weißen Blüthen,
Mit des Mondes Himmelsflammen
In ein heil'ges Licht zusammen.

Sieh, wie schön die Erde ruhet
In der stillen Todtenfeier
Dieser treuen frommen Liebe,
Die der Sturm nicht konnte löschen;
Die kein Raum vermag zu trennen!

Also sprach die kleine Elfe,
Küßte mich, und still und leise
Flog sie durch das Fenster wieder.
Ihre gold'nen Flüglein sah ich
Einen lichten Schimmer werfen
Durch des Gartens Laubengänge.
Doch ich stand noch lang und schaute
Still, wehmüthig in die weißen,
Lichtumflossenen Gefilde.
(1853)

aus: Gedichte von Katharina Diez
und Elisabeth Grube, geb. Diez
Stuttgart 1857

Collection: 
1857

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