1.
Ich singe durch die Frühlingstage,
Als wär' mein Herz ein Drosselnest.
Ich singe mit so hellem Schlage,
Als stünd' ich froh im frohsten Fest.
Und muß doch trüb die Stirne neigen,
Wenn blaß und lau der Tag verfließt.
Ich singe, und ich möchte schweigen –
O komm, du Mund, der meinen schließt!
2.
Ich bin jetzt oft versunken
Selbst tags in Träumerein;
Ich bin jetzt oft wie trunken
Und trank doch niemals Wein.
Mein Herz und meine Glieder
Sind süß berauscht von Flieder
Und jungem Sonnenschein.
Vor Menschen muß ich's hehlen,
Gott aber kennt mein Blut:
Sehnsüchtige Wünsche quälen
Mich oft mit heißer Glut!
Ich trag' in Scham und Bangen
Nach einem Mann Verlangen,
Der mir am Herzen ruht.
Mein Mund wird rot im Traume,
Wenn er im Traum mir naht.
Stünd' ich am Apfelbaume,
Ich tät', wie Eva tat.
Doch bin ich selbst ein Garten
Und muß es still erwarten,
Ob wer mich gerne hat ...
3.
Er nannte mich: "Du Heilig-Reine",
Doch war nicht reinlich, was er tat.
Er bog die Knie und küßte meine,
So bang ich um Erbarmen bat.
Er rief von Leidenschaft gerötet:
"Madonna du, wie bist du schön!" –
Doch wie er mich dann angebetet,
Das kann kein Mädchenmund gestehn!
Ich ward entheiligt und erhoben.
Mir schwand die Welt in Weh und Lust.
Ich fiel und stieg dann doch nach oben
Und nahm ihn mit an meiner Brust. –
4.
Nun freue ich mich meines Leibes,
Weil ihn mein Freund so zärtlich liebt!
O köstliches Geschick des Weibes,
Das reich wird, wenn es alles gibt!
Ich streichel' glücklich meine Brüste!
Heut weiß ich, daß sie lieblich sind!
Bevor mein Freund sie selig küßte,
War ich für ihre Schönheit blind.
Ach! Alles, was ich scheu verborgen,
Ward heiß erweckt durch seinen Kuß
Und schritt in einen neuen Morgen
Wie aus dem Grab einst Lazarus!
5.
Wir Mädchen singen seit alter Zeit
Ein Lied in allen Landen,
Ein Lied voll herber Traurigkeit,
Das ich erst heut verstanden.
Ein Lied, das also klagt und klingt:
O du mein knospendes Leben!
Wer deine Liebe zur Blüte bringt,
Dem dürfen wir sie nicht geben!
Mein Herz war früh schon voll und warm
Und blühte wie junger Flieder,
Und einer hielt es weich im Arm,
Doch war die Welt dawider!
Ich lach' wie sonst. Nur manchmal liegt
Es schwarz vor meinen Blicken:
Er, der mein Herz im Arm gewiegt,
Darf seine Frucht nicht pflücken!
So klingt das Lied landaus und -ein,
Das Lied vom Mädchensehnen.
Ich muß wie meine Schwestern sein
Und schluck' auch meine Tränen.
An eines andern Herz gedrückt,
Wird mein Herz auch ergühen.
Doch der, der seine Früchte pflückt,
Nicht er ließ es erblühen!
6.
Der junge Kirschbaum schmückt sich allzu reich.
An jedem Aste schaukeln tausend Blüten,
Und täglich tun sich neue Wunder auf.
So stand auch meine Jugend einmal da:
Ganz überblüht von rosig-weißen Wünschen
Und eines Sommers voller Frucht gewiß.
Wenn ich nun seh', wie leicht die Kirschbaumblüten
Im Wind verfliegen, packt mich oft ein Schmerz.
Mag Gott den jungen Baum hier besser hüten
Als einst mein Herz! –
aus: Zwischen Himmel und Hölle
Neue Balladen und Schwänke Sprüche und Lieder
von Georg Busse-Palma
Berlin 1913