Nach zehn Jahren

Als einstmals ihr im hohen Rat
Wie Schächern uns den Stab gebrochen,
Da hat, der euch entgegentrat,
das spöttisch-stolze Wort gesprochen:
„Versucht es doch – in seinem Flug
Den schwingenstarken Aar zu greifen!
Wir sind schon lange stark genug
Auch auf dies Schandgesetz zu pfeifen!“

Es stach das Wort gleich einem Dorn,
Der abgebrochen in der Wunde;
Es war in seinem Hohn und Zorn
Das rechte Wort zur rechten Stunde.
Der Feder ganzes Lumpenpack
Hat wider dieses Wort geeifert,
Und Mameluk und Preßkosak
Hat um die Wette es begeifert.

Was focht das Manneswort es an,
Das giftige Gequieck der Ratte?
„Das Wort – sie sollen’s lassen stahn“ –
Kein beß’res fiel in der Debatte!
Hofrätlich ist es freilich nicht,
Doch wie der Schnabel ihm gewachsen,
So – und zu seiner Ehre! – spricht
Der feste Stamm der Niedersachsen.

Zehn Jahre habt ihr Zeit gehabt,
Das Wort, das damals unsre Herzen,
Die schmerzvoll grollenden, gelabt,
Aus dem Gedächtnis auszumerzen.
Und dennoch klang es fort und fort;
Es ward den Jahren nicht zur Beute,
Des teuren Toten markig Wort –
Und Giltigkeit hat es noch heute!

Vom Fluch der bösen Tat gehetzt
Habt das – Gesetz ihr so gedeutet;
Daß wir, die nichts in Staunen setzt,
Anstaunten, wie ihr’s ausgebeutet.
Es wuchs sich aus, ob siech und fahl,
Das Kind des Hasses und der Lüge –
Den eignen Vätern sind fatal
Des Wechselbalgs gemeine Züge.

Und doch – gelang es auch, dem Aar
Mit dieser Scheere Zwick zu stutzen
Das starke, junge Schwingenpaar?
Wir fragen euch: Wo blieb der Nutzen?
Den stolzen Vogel fängt kein Netz,
Und schartig wird, was überschliffen –
Wir pfeifen auf das Schandgesetz,
Wie Bracke einst darauf gepfiffen.

Ob ihr’s verlängert, blank und nackt,
Ob ihr, der Scham es anzupassen,
In etwas Watte es verpackt –
Uns wird erstaunlich kühl es lassen.
Begründet noch ein Spitzelkorps –
Das hindert nicht die Saat, zu reifen,
Wir werden eben nach wie vor
Auf solche Prachtgesetze pfeifen.

Zehn Jahre – Spielraum war’s vollauf,
Besonders für so – kluge Leute;
Es blühte der Gewissenskauf,
Und doch, ihr Herrn, wie steht es heute?
Ihr brecht uns und ihr kauft uns nicht,
Wo wir auch immer flüchtig schweifen;
Ihr macht ein grämlich-stumm Gesicht
Und wir – nun, meine Herrn, wir pfeifen!

Collection: 
1888

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