(Meiner Schwester)
Einst hab' ich's der Welt und dem Himmel geklagt,
Jetzt hab' ich den Klagen, den Thränen entsagt.
Ich denke nicht mehr an den maßlosen Harm -
Ich denk' an Dein Lächeln so frühlingswarm;
Du warst hier auf Erden mein Sonnenschein,
Darum freudigen Herzens gedenk' ich Dein,
Gedenk' ich Dein!
Du warst wie die Blum' auf erwachender Au:
Noch lag in den Blättern der himmlische Thau!
Sie blieben erspart Dir von höherer Macht,
Die Gewitter des Mittags, die Nebel der Nacht;
Du schiedest als Blüt' aus dem blühenden Sein,
Darum freudigen Herzens gedenk' ich Dein,
Gedenk' ich Dein!
Du hast Dich geborgen im ewigen Zelt -
Ich ringe noch fort mit den Stürmen der Welt;
Seitdem mir Dein Lächeln, Dein letztes, entschwebt ...
Was hab' ich gelitten ... was hab' ich erlebt!
Doch das Leben will mutig getragen sein,
Darum freudigen Herzens gedenk' ich Dein,
Gedenk' ich Dein!
Du warst hier auf Erden mein Sonnenschein,
Und was Du mir warst, sollst Du ewig sein!
Ich will es vergessen, wie heiß ich stritt,
Wie brennend ich weinte, wie blutig ich litt,
Ich harre: einst winket uns sel'ger Verein -
Darum freudigen Herzens gedenk' ich Dein,
Gedenk' ich Dein!
aus: Baltische Dichtungen
herausgegeben von Freifrau von Staël-Holstein
geb. Freiin von Nolcken Riga 1896
Verlag von L. Hoerschelmann