Martha

Motto:
Ist's möglich, daß ich's erlebt?
Daß du verweht, verklungen
Wie Harfenton?
Hermann Menkes

I.
Und starre ich offenen Auges
Hinaus in den lenzjungen Tag,
So grüßen mir deine Augen
Still aus dem sonnigen Hag.

Und schließ ich die Augenlider,
Ich banne den Zauber nicht.
Ich sehe ja immer wieder
Dein liebes, liebes Gesicht!

II.
Blondkopf mit den blauen Augen,
Still zu Füßen sitz ich Dir,
Schau wie um das Köpfchen goldig
Spielt der Locken reiche Zier.

Sieh mir schweigend in das Auge,
Du mein liebes Heil'genbild,
Das die Unschuld siegsgewaltig
Scheuche, was mich bang erfüllt.

Oft, mein Lieb, wenn dunkle Zweifel
Todeseisig roll'n durchs Hirn,
Kann nur Unschuld sie verbannen
Daß sie schattengleich entschwirrn.

Wenn sie meine Brust bestürmen,
Daß mein guter Genius weicht,
Schau ich deine Unschuldsaugen
Und das Herz wird wieder leicht!

III.
Kirchhofsidyll
Charfreitag war's, ein wundervolles Wetter,
Wie Frühlingslachen ging es durch die frohe
Bewegte Lenznatur und wellengoldig
Lag sonnenflutenatmend Flammenlicht
Auf grüner Flur. Hier guckten grüne Gräser
Neugierig aus dem säftesatten Boden
Und kicherten hinein ins frühlingshelle
Auflachen der Natur; die ernsten Bäume,
Sie lachten ernster und viel würdiger
Als jene kleinen, ewig grünen Knirpse.
Doch heller noch und lauter als sie alle
Erklang das Lachen froher Menschenkinder,
Die schön geputzt in ihrem Sonntagsstaat
Die breite, staub'ge Landstraß' schwatzend füllten
Und heiter lärmend langsam vorwärts gingen.
Doch ach, Poetenohren, Allmutter Natur,
Sie hören nur das Lachen deines Frühlings,
Des Lieblings deines Herzens, wie er pfeifend
Die Hände in den Taschen durch den kraft-
Gewürzten spülend-weichen Aether schreitet,
Und, wie geschwellt von saft'ger Cnakskraft,
Die breite Jünglingsbrust vollatmend dehnt,
Die Arme jauchzend in die Lüfte breitet,
Als wollt' er keck der Sonn' ins Antlitz patschen. -
Doch hören auch Poeten nur das dumpfe
Wehscharfe Aechzen deines Schmerzenssohnes,
Des Winters, den der Lenz auf grüner Halde
Mit junger Riesenkraft erschlagen; wie in
Den ersten Frühlingswetterschlägen rollt
Der letzte bange Aufschrei heiser krampfend
Durch's saftgeschwellte All. Die Riesenstadt
Liegt nun mit ihrem dumpf-geschwätzigen
Gewühle hinter uns und frühlingsheiter
Hinwandern wir dem Kirchhof zu nach Britz.* [* Vorstadt Berlins]
In ihren Händen trägt sie sorgsam einen
Mit weißen Blumen durchgeschmückten Kranz,
Das hoffnungsfrische Grün zu legen auf ein
Geliebtes Grab. Und vor uns, neben, hinten,
Da wandern mit uns kleine Scharen; Männer,
Und Frauen, Kinder schreiten sonntagsfestlich
Gekleidet auf der grauen, heißen, staub'gen
Landstraße hin. Sie all' gedenken heute
Der teuren Hingeschiedenen und halten
In ihren Händen duftig grüne Kränze,
Und Blumentöpfe blütennickend blatt-
Beschwert, als sollten sie die stummen Boten
Sein für die stillen Toten, einzuhauchen
Lenzfrisches Leben, Atmen in den starren
Urewig gähnend stummen Erdenhügel.

An einem Grabe, das der Epheu träge
Umkroch, stillstanden wir und vor uns lag
Ein matt ergrauter Marmorstein, in dessen
Goldheller Schrift die Sonnenstrahlen spielten
Und stechend uns ins Herz und Auge brannten.
Hier weilt' ihr Auge wie verloren lang
Und legt den vollen Arm um meinen Hals
Und lehnt ihr blondes Haupt an mich und spricht:
"Mein Lieber, Guter, hier liegt meine Schwester,
Sie war die hübscheste von uns und auch
Der Liebling von Papa, und wenn Papa
Dran denkt, an unsre tote Grete, wird er
Ganz still, ganz still und ... siehst du, hier, da steht's,
Sie war erst sechzehn Jahr, und blaue Augen
Hat sie gehabt und lange blonde Zöpfe.
Nun sind's schon fünf Jahr her, und damals war ich
Grad dreizehn alt geworden. Damals hat auch
Papa zum ersten Mal geweint. Und wenn
Ein Mann so weint, ist's doch zu schrecklich, und haben
Wir alle darum mitgeweint und unsere kleinste
Schwester stand immer vor dem Bett und guckte
Neugierig auf die blasse, stumme Grete ..."
Wie sie dalag ... ich darf gar nicht dran denken!

Nun sahen ihre blauen Augen still und
Wehmütig in die Ferne. Dann zog rasch sie
Die Handschuh von der Hand und warf sie mit
Dem bunten Sonnenschirm hin auf die Bank,
Die neben stand und nahm den grünen Kranz
Mir aus der Hand und legt ihn an den eckigen
Fahlgrauen Stein. Mit müden Sinnen saß
Ich auf der Bank und sah, wie sie geschäftig
Mit ihren weißen Händen all' die morschen
Und dürren Aestchen riß, die gelben Blätter
Und säubernd auf dem Grab die kleinen Steinchen
Einsammelte und emsig seitwärts warf,
Bis ihre blauen Augen, prüfend, forschend
Das liebe Grab nun frisch gesäubert sahen.
Die Gießkanne nahm sie darauf, auf deren
Hellblankem Grün die roten Sonnenstrahlen
Hinwogend Flammen in das Auge sandten,
Und nickte mir noch zu und ging zum Brunnen,
Um sie zu füllen für das durstige Epheu,
Das klammernd übers Grab sich hinschlich. Sinnend
Saß ich dabei und ließ sie stumm gewähren.

Wie so verwandelt ist es um mich her!
O blütendufter Fliederhauch, du warmer,
Du leuchtend roter Sonnenstrahl, ihr weißen
Hellschimmernd losen Wölkchen und du blauer
Breit niederlachend lenzgeschmückter Himmel,
Ich lieb euch doppelt heute, daß ihr schmeichelnd
Die thränensatte Erde mitleidsvoll
Geküßt und quellenfrisches Leben locktet,
Wo müde Augen totkühl starren und ein
Hinwürgend Sterben durch den Boden schleicht,
Ich grüß euch hier an dieser Stelle wieder,
Viel tausendmal und fleh euch an, erwürgt
In meiner Brust die alte Frage,
Die rollenden Gedanken, wüsten Zweifel,
Die Mörder meines Friedens. Heut nur
Laßt mich frei sein, und ledig aller bangen Fragen.
Ich hab so viele trübe Stunden, wo
Das Haupt hinsinkt so müde, trostlos, daß es
Mich durstig sehnt nach einem Quell voll Lachen ...
Du scheinst und lächelst! Hab Dank, du Sonne,
Du liebe gute Sonne, habe Dank! - - -

IV.
Im Mausoleum
Vorm Sarg des totes Kaisers standen
Wir seelentiefergriffen still.
Dein Haupt auf meiner Schulter ruhte
Vor unaussprechlichem Gefühl.

In deinen Augen standen Thränen,
Die du so weichen Herzens bist;
Es dämmerte um uns so einsam ...
Da hast du sprachlos mich geküßt.

Mir war wie über dunkler Haide
Hinschimmre warmer Sonnenschein ...
Der Tod in düstrer Ecke hockte
Und schwieg und schaute drohend drein.

V.
Störung
Viel liebe Grüße, herzsüßes Lieb!
Willst zur Gesellschaft, bleiben in meines Bruders
langweil'gem Comptoir?
Ach wie du gut bist!
Wie schallt nun Lachen, Scherzen und Kichern!
Tausend Kobolde sitzen in allen
Gähnenden Ecken und blinzeln vergnügt
Lustig darein.

Staunend erschauen die Fächer und Waren,
Dies ungehörte, dies ungewohnte
Neckische Spiel.
Laut lacht die Sonne durchs blanke Fenster,
Sommerlich webt es, schwirrt es und girrt es,
Summend im Zimmer wie ferne Musik.

Wie sich die Thüre langsam nun öffnet,
Ach, welch ein alter, ärmlicher Greis!
Rot starrt das Auge, Sorge das Grauhaar,
Kummer die Stirn:
"Hab keine Arbeit, mein junger Herr,
Habe Familie,
Bin schon gelaufen manch langen Tag
Und fand doch niemals lohnende Arbeit.
Fehlt junger Herr, bei Ihnen einer?
Bin zwar schon alt, kenn ich doch Arbeit,
Grad wie ein Junger!"

Ach wie so gerne, gäb ich Almosen,
Fürchtet' ich nicht, daß ernst er sich weigert.
Ach wie so gerne gäb ich ihm Arbeit ...
Frage den Meister,
Ob er noch nähme mir zu Gefallen den
Graubärtigen Mann.
Aber verneinend schüttelt das Haupt er,
Mochte befehlen, so viel ich wollte,
Blieb er doch standhaft bei seinem Wort.
Ach, und dem Alten, konnt ich nicht sagen
Bittere Worte.
Konnte nicht sagen, was ihn so schmerzt.
Und so verstrichen lange Minuten
Bangen Stillschweigens.
Konnte nicht sagen, was ihn so schmerzt!
Da griff der Alte still nach der Mütze,
Grüßte dann tonlos und ging hinaus.

Geh süßes Lieb!
Mag nicht mehr küssen, mag nicht mehr lachen,
Denk ich des Alten traurigen Blick,
Sei mir nicht bös drum, süßblondes Lieb.
Aber ich wollte für deine Küsse
Heut' lieber gelbe goldne Dukaten.
Heute zum ersten Mal neid' ich dem Reichen
Schwellenden Reichtum
Neid ich das Glück ihm, helfen zu können.

Geh süßes Lieb!
Mag nicht mehr küssen, mag nicht mehr lachen,
Denk ich des Alten traurigen Blick.

VI.
Mein Kopf auf deinem Schoße,
Lieg ich bange atmend still.
Süßes Lieb, ach wenn Du wüßtest,
Was das Herz mir sprengen will.

Süßes Lieb, beschwöre nimmer
Meiner Leidenschaften Heer,
Daß sie trunkne Wonnen träumen
Unergründlich wie das Meer ...

VII.
Im Winter
... Der Schnee in bleichen Flocken fällt ...
Nun träumt verschlafen die ganze Welt.
Der Tod mit kaltem Atemhauch
Streut Funkenflocken ob Baum und Strauch.
Aufseufzt die Erde in starrem Krampf
Ausatmend Nebel und Silberdampf.
Im Leichentuch von Dämmerschnee
Verschläft sie ihr ganzes Daseinsweh.
Nur manchmal im tiefsten Innern brennt's:
Die Blumenwehen des jungen Lenz!
... Nun träumt auch mein Herz von Wintersruh,
Als deckte der Schnee es schläfrig zu,
Nur manchmal mich bleiche Wonne grüßt,
Wenn Du mich küßt, wenn Du mich küßt ...

VIII.
Der Kerker
Vor der Mutter hält mein Bildnis
Tiefgeheim mein Lieb geborgen;
Zwischen frommen keuschen Blättern
Des Gesangsbuchs ruht mein Bildnis!

Goldig auf dem sammt'nen Buche
Glänzt das Schmerzenskreuz des Heilands. -
Kannt' als Knabe schon die Lieder,
Die man sang aus sammtnen Buche,

Sang vom Trost im heil'gen Geiste,
Von der ew'gen Heilandsliebe,
Von der Zuversicht im Vater,
Und im Sohn und heil'gen Geiste,

Von der Reu des argen Sünders,
Und der bösen Heidenrotte ...
Zwischen diesen frommen Blättern
Ruht das Bild des argen Sünders.

Wenn sie singt im hohen Dome
Aus den frommen keuschen Blättern,
Sing ich, ein verlorner Jude,
Weinend mit im hohen Dome.

IX.
O, nicht mehr mein! So schmerzlich klang
Mein Herz es fröstelnd immer wieder.
Mit einem bittern Lächeln zwang
Ich all mein heißes Lieben nieder.

Nun hab ich einen Brief zur Hand ...
Ich les', doch ist das Auge trübe.
Ach, durcheinanderschluchzend stand
So viel von Thränen, Weh und Liebe ...

X.
Ich schau viel Zeilen aus deinem Brief,
Aus deinen Zeilen viel Qual und Schmerzen,
Aus deinen Qualen ein krankes Herz,
Die alte Liebe aus deinem Herzen ...

XI.
Es war kein fröhlich Wiedersehn!
Dein Antlitz schaute bleich wie Tote.
Die Augen flammen glühend Flehn,
Das mir im Herzen widerlohte.

Die blauen Augen flehn so sehr ...
Was soll, mein Herz, dein Drängen, Treiben?
Du süßes Lieb, es ist so schwer
In diesem Kampfe Mann zu bleiben!

XII.
Du hassest Lüge wie die Sünde,
Sprachst du, mein Lieb, einst feierlich;
Und 's war doch beides: Lüge, Sünde,
Als du mir schwurst: Ich liebe dich!

XIII.
Abschied
Daß du soviel mußt' leiden,
Daß ich dich oft betrübt,
Verzeih' mir vor dem Scheiden,
Wenn du mich je geliebt.

Daß mir die letzten Worte,
Du blasses, müdes Kind,
An dunkler Todespforte
Wie letztes Lächeln sind.

XIV.
Resignation
Ein Traum, wie ein Traum ...
Mählich erlosch im Innern
Der einzige Sonnenblick;
Nachzittert ein letztes Erinnern
Wie - ein Traum, wie ein Traum,
Wie ein Schatten vom Glück.

XV.
Schatten
Die Dämmerung schattet sacht herein.
Ich sitze in dunkler Ecke allein.
Nur hockt Erinnerung neben mir still,
Als wenn sie mir etwas sagen will.

In wohliger Dämmereinsamkeit,
Da träumt es sich gut von Vergangenheit,
Da träumt die Seele so vor sich hin,
An tote Liebe denkt mein Sinn,

An jene Zeit, da ich glücklich war
Durch ein blaues, blitzendes Augenpaar,
Durch Mädchenlippen so süß und weich,
Durch ein Antlitz zart und totenbleich.

Die Haare flattern im Lockgerank
Wild um die weiße bleiche Wang ...
... So sah ich sie sitzen am Klavier,
Das letzte Mal, da ich bei ihr ...

Aus schimmernden Tasten die schlanke Hand
Zauberte Töne aus Geisterland,
Akkorde so weinend, so ohne Sinn,
Es lag ja verratene Liebe darin.

Bang lauschend am Klavier ich stand
Und sah auf die schlanke bleiche Hand,
Wie die Brust sich hob in geheimer Glut,
Auf Wangen sich jagten Blässe und Blut.

Und da, mit einem schrillen Klang,
Der knirschend in das Herz mir drang,
Starb hin der Tasten Geisterspiel
Vor atemlosen Schmerzgefühl,
Und dann, dann sah ich mich allein
Mit meiner Reu' und Herzenspein ...

... Und immer, wenn nahn in der Dämmerung
Die Schatten trüber Erinnerung,
Dann tönt mir aus ihrem stummen Wort
Der eine einzige schrille Akkord,

Dann seh ich die Tasten, das Augenpaar,
Das voll von bittren Thränen war,
Und sehe die schlanke weiße Hand
So schlank, so weiß wie Totenhand ...

aus: Funken. Neue Dichtungen
von Ludwig Jacobowski
Dresden und Leipzig 1891

Collection: 
1884

More from Poet

  • Schön wie weiße Rosenknospe,
    Stand sie mit ihm am Altar,
    Und zur selben Stunde wußt' sie,
    Daß ihr Liebster treulos war.

    Nun in Nächten dumpfen Irrsinns
    Dämmert sie den Daseinstraum,
    Engelschön noch wie Ophelia...

  • "O nenne mich wieder dein "süßes Lieb"
    Und presse mich fest in die Arme.
    Ich kann ja nur stammeln: "Vergieb, vergieb",
    Was ich einst gethan im Harme,
    Mein Trauter, im Harme!

    Wie schluchzte mein banges Herz nach dir
    ...

  • Ich bin ein Sproß aus Heidenblute,
    Der Götter und Gebet verlacht,
    Doch als dein Herz an meinem ruhte,
    War ich verwandelt über Nacht.

    Ich grübelte nach Liederreihen
    Und sprach sie so wie einst als Kind,
    Damit dich...

  • Ein fremder Mann spricht auf mich ein,
    Ich sehe ihn an, ich hör' ihn an.
    Die Worte geh'n zu mir herein,
    Ihr Sinn kommt nicht zu mir heran.

    Dann plötzlich zeigt sich in der Luft
    Ein bleiches, liebliches Gesicht;
    Ich...

  • Die Bilder, die ich von dir hab',
    Die fanden heut' ihr Flammengrab.
    Ich sah ins Licht wie festgebannt,
    Und sah noch, als sie längst verbrannt ...

    Um ein Bild ist mir sterbensleid,
    Es war mir Trost in Traurigkeit:
    ...