O einzige, traute, holdselige Zeit,
Da fröhlichen Sinnes die Welt ich umfieng,
Mein Herze die Gaben des Lenzes empfieng:
Das Glühen und Blühen voll Herrlichkeit
Im wonnigen Lebensmai! -
Wie lachte der Himmel in Huld mich an,
Die schönste der Sonnen durchstrahlte das Rund,
Es hielt mit der Klaren die Seele den Bund,
Getragen auf Flügeln der Liebe hinan
Im herrlichen Lebensmai! -
Und scholl's von gefiederten Sängern im Hain,
Wie gieng zu Gemüte der lockende Klang!
Das gab wohl ein Echo dem Vogelgesang;
O zärtliches Sehnen, du wonnige Pein
Im seligen Lebensmai! -
Und strahlten die Nächte in funkelnder Pracht,
Zog leuchtend der Mond im unendlichen Kreis,
Da glänzte der Sterne schönster mir leis
Im Busen, süß klangen die Stimmen der Nacht
Im herrlichen Lebensmai! -
O einzige, traute, holdselige Zeit,
Und schwandest dahin du gleich blinkendem Schaum,
Wen einst du bezaubert, dem winkt noch im Traum
Dein Glühen und Blühen voll Herrlichkeit,
Du wonniger Liebesmai! - -
aus: Deutsche Dichterin[n]en und Schriftstelerin[n]en
in Wort und Bild
Herausgegeben von Heinrich Groß
III. Band Berlin 1885