Jahreswechsel

Wenn hoch vom Turm die Glocken klingen,
In mitternächtlich ernster Stund’
Des Jahres Scheidegruß zu bringen:
Dann lauschen wir, als werd’ uns kund,
Was nun der neue Lauf der Horen
Uns Erdenpilgern bieten mag –
Das Jahr ward neuverjüngt geboren
Und festlich grüßt sein erster Tag.

Doch ist vergeblich alles Fragen,
Die Antwort lautet immer gleich:
Propheten sind aus unsern Tagen
Verbannt ins dunkle Sagenreich.
Kein Blick darf in die Werkstatt schweifen,
In der des Menschen Los sich webt,
Kein Arm in das Getriebe greifen,
Das Schicksals-Fäden senkt und hebt!

Das mußten alle wir erfahren
In unsrer Lieben engem Kreis –
Gebrochen müssen wir gewahren
Manch hoffnungsgrüne frisches Reis,
Und wo wir’s ahnend kaum vermutet,
Da kam uns Rettung aus der Not,
Indessen dort ein Herz verblutet
Weil ihm sein Liebstes nahm der Tod!

Nur eitel ist das ird’sche Hoffen,
Das sich an äußre Zeichen hält,
Ist nicht in uns ein Himmel offen,
Von dem kein Stern herunterfällt.
Wie sehr auch Sturm und Donner wettert
Und frische Hoffnungssaat zerschlägt
Und alle Rosen uns entblättert,
Wie Staub in alle Winde trägt. –

Ein Himmel, den wir sicher schauen,
Wenn sich der Blick nur aufwärts hebt,
Ein Himmel, den wir selber bauen,
Wenn wir zum höchsten Ziel gestrebt,
Ein Himmel, draus seit Ewigkeiten
Zu uns die Schöpfungsformel spricht,
Die heiligste für alle Zeiten:
Kein Chaos mehr! – es werde Licht!

Kein Chaos mehr – in unserm Leben,
Kein Chaos mehr im Vaterland!
Es werde Licht, – dies unser Streben,
Die Waffe dies in unsrer Hand.
Des Gottesfunkens treue Wächter
An heil’ger Freiheit Hochaltar,
Und Feinde aller Lichtverächter:
So grüßen wir das neue Jahr.

Collection: 
1893

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1. Caritas Pirkheimer.

Mit seinen Türmen, seinen stolzen Warten
Liegt Nürnberg vor des Wandrers Blicken da,
Der aus dem Forst „des Reiches Bienengarten,“
Sich einem Stadtgetrieb’ genüber sah,
In dem sich tausend Hände emsig regen,
Das Gute gut...

Zwei Fenster.

I.

Ein Fenster hinter blendenden Gardinen,
Das hoch und groß den Blick hinein verstattet;
Vom hellen Sonnenglanze ist’s beschienen,
Der an den blanken Scheiben nicht ermattet.

Umzogen ist’s von grünen Epheuranken,
Lorber...

1842.

Nicht sing ich jetzt von inn’rem Leid und Glücke,
Das einzig meiner Seele nur gehört –
Ich weise meines Schicksals Weh zurücke,
Vom Gramversinken bin ich aufgestört,
Der Gegenwart gilt’s ganz und gar zu leben,
All ihren Stürmen will ich...

Schon in der Jugend Morgentagen
Fühlt ich mich als ein Kind der Zeit
Und ihrem Hoffen, ihren Fragen
War stets mein Wort, mein Lied geweiht.

Mein ganzes Herz, mein ganzes Leben
War nur erfüllt von einem Ziel:
Mich an mein Volk dahin zu geben,
...

Zöblitz, im Mai 1853.

Ein Pfingsten kam – o welche Festesfeier!
Der schöne Mai im hellen Blütenkranz
Zerreist des Himmels düstern Wolkenschleier,
Und zeigte ihn in seinem blau’sten Glanz. –

Kann solche Wonne auch im Kerker wohnen?
Ist da auch...