Giordano Bruno

(1889.)

Dreihundert Jahre sollst du rückwärts sehen –
Dreihundert Jahre – eine Ewigkeit
Für uns, die wir auf ihren Schultern stehen,
Und dennoch – eine kurze Spanne Zeit!
Mit andern Maßen mißt die Weltgeschichte,
Und andre Räume überfliegt ihr Blick;
Sie schreibt die größten, packendsten Gedichte,
Und ein Jahrhundert wird zum Augenblick.

Sie schreibt Gedichte wunderbaren Klanges –
Aus einem Gusse sind so Stoff wie Ton;
Sie schreiten vorwärts kriegerischen Ganges,
Durchtränkt von Pathos, Ironie und Hohn.
Das ist kein ängstlich-ärmlich Verseleimen,
Da stört kein Flickwort ungeschickt und zag,
Sie sind so reich an tönend-vollen Reimen,
Und jeder Vers trifft wie ein Hammerschlag.

Dreihundert Jahre sind’s, da band der Henker
An eines hohen Scheiterhaufens Pfahl
Mit rohen Händen einen muth’gen Denker,
Der keck vom Himmel ew’ges Feuer stahl.
Sein Wort war lauter als der Mönche Lieder,
Mit denen man das Heil ersingen will –
Da zuckt’ ein Bannstrahl ungeduldig nieder
Vom Stuhle Petri – und der Mann ward still.

Zu Asche brannten auf erhöhter Bühne
Sie sein Gebein mit festlich-düstrer Pracht,
Nachdem so manches lange Jahr der Kühne
In Kerkermauern ungebeugt verbracht.
Verbrannt ward Alles, was er je geschrieben,
Der Bücher Asche trug der Luftzug fort,
Und keine Spur des Frevlers war geblieben –
Dem heil’gen Vater blieb das letzte Wort.

Da jauchzten Alle, die gehässig munkeln,
Zeigt sich von ferne nur ein Strahl von Licht,
Es zischte froh die Viper, die im Dunkeln
Den Denker meuchlings in die Ferse sticht.
Sie huben an, den weisen Greis zu loben
Auf Petri Stuhl, der nimmer wankt und irrt –
War doch durch ihn „besorgt und aufgehoben,“
Der die Gewissen freventlich verwirrt.

Und dumpfer Schreck sank lähmend auf die Herzen,
Die freien Sinnes jeden Druck verdammt,
Und eignen Denkens, eignen Forschens Kerzen
An seiner Leuchte wohlgemuth entflammt.
Man hörte nur der Hymnen schläfrig Summen,
Das früh und spät erklang aus hohem Dom –
Sonst war ein tiefes, ängstliches Verstummen
Für lange Zeit im heil’gen, ew’gen Rom.

Mit dem Pantoffel war er ausgetreten,
Der böse Funke, eines Schwärmers Traum –
Es war in Rom für’s Glauben nur und Beten,
Es war für’s Denken nicht der kleinste Raum.
Und doch und doch! O weisester der Väter,
Du mußtest weiter in die Ferne sehn!
Du sahest dann dreihundert Jahre später
Ein Marmorbild auf jenem Richtplatz stehn.

Und dieses Marmorbild, es trägt die Züge
Des kühnen Mönchs, den Ketzer ihr genannt,
Den ihr als Sohn des Vaters aller Lüge
Mit düstrem Pomp zu Asche einst gebrannt;
Und um das Denkmal eures Opfers schaaren
Sich Tausende mit bunter Banner Pracht
Und ehren ihn, den vor dreihundert Jahren
Sie preisgegeben eurer finstren Macht.

Wohl steht er noch, von dunkler Zeit zu zeugen,
Der goldne Stuhl der schlimmsten Despotie –
Doch Romas Bürger, ihre Jugend beugen
Vor dem Verbrannten huldigend das Knie;
Und ob da droben in geweihter Halle,
Wo man vordem das „Anathema!“ sprach,
Ein müder Greis die Hände zitternd balle –
In unsern Tagen fragt man nicht danach!

Dreihundert Jahre, für die Weltgeschichte
Sind sie nicht mehr als eine Spanne Zeit –
Den Stoff zum herb-pathetischsten Gedichte
Fand sie in ihr mit Dichter-Sinnigkeit.
Ich möchte wohl durch einen Traum erfahren,
Der mit Prophetenaugen mich beschenkt,
Was die Geschichte in dreihundert Jahren
Von unsern Päpsten und – Verbrannten denkt!

Collection: 
1893

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