Du klare, alabasterweiße Stirne,
Darauf der Abglanz aller Keuschheit thront,
- Gleichwie im Diadem der Nacht der Mond -
Heut' bist du wieder rein, wie Eis der Firne.
Ach, hinter dir, im arg verwirrten Hirne,
Hat gestern noch ein trüber Geist gewohnt,
Der selbst so reine Lippen nicht verschont
Und sie verzerrt zum Munde einer Dirne!
Heut' sind die Lippen, die nie wissen dürfen,
Wie sie ein Dämon schänderisch mißbraucht,
Sanft und gerührt und lächeln selig wund,
Da sie erstaunt des Lebens Odem schlürfen;
Und heilig glänzt die Stirn, da nun mein Mund
Auf ihren Schnee den Kuß des Mitleids haucht...
aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908