Einsamkeiten

Nun still, mein Schritt, im stillen Nebelfeld;
hier rührt kein Leben mehr an meine Ruhe,
hier darf ich fühlen, daß ich einsam bin.
Kein Laut; kein Hauch; der bleiche Abend hält
im dichten Mantel schwer die Luft gefangen.
So thut es wohl dem unbewegten Sinn.

Mein Herz nur hör’ich noch; doch kein Verlangen
nach Leben ist dies Klopfen. Lust und Schmerz
ruhn hinter mir versunken – gleich zwei Stürmen,
die sich umarmen und im Wirbel sterben;
was störst du mich, mein allzu lautes Herz!

Sie haben Alle nie wie du gefühlt,
wie Du allein; nicht Freund, nicht Weib noch Kind;
sie sind auch einsam. Sieh, dort drüben
müht sich ein grüner Schein im Nebelmeer,
ein Bahnlicht – sieh: so glimmst auch du im Trüben.
Hinaus, hinaus, wo keine Menschen sind!

Was wollt ihr noch? Weiter! auf jenen Hügel,
der grau zu Dunkel schwillt; Gesichter, weicht!
sie folgen mir; o hätt’ich Flügel.
Und aus dem bleichen Feld tauchen die Sträucher
und sehen zu – der Hügel raucht:
wie feucht von Schweiß sich starr und breit
der Dunstalb an die Brust der Erde saugt.
Gesichter, weicht! weicht! Seht mich keuchen!
Sie folgen mir. Oh Qual der Einsamkeit.

Am Bahndamm niederzittr’ich in den Sand,
die glühende Stirne auf die nasse Schiene:
o käme jetzt das Eisenrad gerannt!
Kalt frißt sich mir der blanke Strom ins Mark,
die Hände pressen wild den harten Reifen –
ich kann nicht mehr! Da – – horch: sei stark:

Gellend am Horizont ein hohles Pfeifen,
zwei Augen quellen stechend aus der matten
Dunstferne, und – was will der Schatten,
was dunkelt dort der Erlenbusch?

Er löst sich, kommt; es reißt mich hoch,
er ist schon nah, ich will’s begreifen,
es nimmt Gestalt an, – Wahnsinn? Da:
den Nebel teilt ein schwarzer Streifen,
mein wühlender Blick wird still und weit:
Jubel – stumm schüttelt mich ein Schrei:
Jubel, ein Mensch! – Oh Herz – o Einsamkeit –
und knatternd stampft der Dampfzug mir vorbei.

Collection: 
1893

More from Poet

  • Ich will nicht immer küssen;
    ich will nur fühlen, du bist mein!
    Und wenn du noch viel nackter wärst,
    ich würde lieber zu Stein,
    als heut dich küssen.

    Gieb mir die stillste Stille,
    die du geben kannst....

  • Ich habe dich Gerte getauft, weil du so schlank bist
    und weil mich Gott mit dir züchtigen will,
    und weil eine Sehnsucht in deinem Gang ist
    wie in schmächtigen Pappeln im April.

    Ich kenne dich nicht - aber eines Tages
    wirst...

  • Ich bin arm, du bist reich,
    darum bau ich dir ein Schloß
    aus meinen purpurnsten Träumen.
    Das steht am grauen Nordseedeich,
    wo die funkelndsten Wellen schäumen.

    Denn unsre Liebe ist so groß,
    daß die ganze Welt...

  • Hab ich schon mit dir gespielt,
    als wir Kinder waren,
    scheu um Nachbars Ecke geschielt
    nach deinen flirrenden Haaren?

    Wenn mich nur dein Atem streift,
    fühl ich uns durchs Haidekraut springen;
    wenn mich deine...

  • Du mußt nicht meinen,
    ich hätte Furcht vor dir.
    Nur wenn du mit deinen
    scheuen Augen Glück begehrst
    und mir mit solchen
    zuckenden Händen
    wie mit Dolchen
    durch die Haare fährst,
    und mein...