Einem Verschwindenden

(1889.)

Aus gewölbter Dome Dämmern trat einst still und stark und heiter,
Ohne Bibel, ohne Bäffchen, Gottes und des Deutschthums Streiter.
In den Lärm des Tages stürzte und es schwang auf die Tribüne,
Dem Zigarrendampfe trotzend, redelustig sich der Kühne
Und er sprach mit Donnerstimme ziemlich weltlich zu den Massen,
Die den trocknen Ton der Kanzel schlimmer noch als Zahnweh hassen.
O, er wußte sie zu fassen, wie der große Augustiner
Abraham a Sancta Clara seine stets fidelen Wiener,
Denn es warf der neue Luther zürnend um die Wechslerbuden
Der verstockten, schwindellust’gen, der vermaledeiten Juden,
Die am Mark des Lebens zehren, die da schachern, statt zu „schuften,“
Und dabei nach Zwiebelröhren orientalisch-undeutsch duften.
„Die Verjudung,“ rief er zeternd, „unterwühlt den Bau der Ahnen,
Ihrer mußt du dich erwehren, stolzes Prachtvolk der Germanen!
Oder willst nach opfervollen, herrlichen Franzosensiegen
Einer Handvoll Hakennasen, den Semiten du erliegen?
Von den Früchten deines Schweißes mästen sich die faulen Drohnen,
Die, verjagt aus ihrer Heimath, nun an deinem Herde wohnen.
Schlimmer sind sie, weil sie schlauer, als ein neues Volk der Hunnen;
Sie vergiften in der Stille deines Geistes laut’re Brunnen,
Und sie nehmen dir allmälig listig deine letzten Rechte,
Denn es stehen schon zu ihnen viele tausende Judenknechte.
Mit dem schnöden Mammon kaufen sie die Seelen wie die Leiber –
Sie die Schlächter, ihr die Herde, die Bestochenen die Treiber!
‚Los von Rom!‘ war Luther’s Losung und er rettete den Norden;
Los von Israel! so ruf’ ich – höchste Zeit ist es geworden.
Könnten wir hinaus sie treiben aus den deutschen Eichenhainen,
Würde das mir als das Beste, weil das Kürzeste, erscheinen,
Aber da in Palästina schwerlich Platz für ihre Massen,
Müssen der Beschnitt’nen Horden unbedingt sich taufen lassen.
Doch auch dann noch ist der Jude eine inferiore Rasse –
Auch getauft noch muß er bleiben stets ein Deutscher zweiter Klasse.
Dann nur kann die Auferstehung, die uns Allen Noth thut, glücken,
Wenn den Daumen wir aufs Auge fest den schlimmen Juden drücken,
Denn wenngleich sie ihren Glauben scheinbar reuig abgeschworen,
Haben sie’s nach Väterweise doch noch faustdick hinter’n Ohren!“
Also sprach er und es fielen zu ihm viele Tausend Stimmen.
Jener Geist, der unsre Gassen ließ im Blut der Juden schwimmen,
Als zum heil’gen Grabe zogen Tausende in Christi Namen,
War trotz Lessing nie erstorben; Stöcker rief und – Alle kamen!
Daß sie kamen, wenn auch Alle im honetten „deutschen“ Kleide, –
War’s zu danken nicht dem Dünkel, war’s zu danken nicht dem Neide?
Ihrer Stimmen Jauchzen deckte wie ein Fluthschwall seine Worte –
Des Propheten Jünger waren wirklich eine rare Sorte,
Da die Ernsten und Gerechten, die des Judenthumes Schäden
Wohl durchschauten, dieses Treiben mitzumachen doch verschmähten,
Und erschreckt und angewidert von dem Lärm der Korybanten,
Scham und Unmuth in der Seele, unberührt zur Seite standen.
Eine schwarze Seite füllte so der Gottesmann vermessen
In den Büchern der Geschichte – werden wir sie je vergessen?
Und nachdem er so, ein Meister im Gehässigen und Schiefen,
Haß und Zwietracht rastlos säend, aufgewühlt den Schlamm der Tiefen,
Alle niedrigen Instinkte spannend vor den Siegeswagen,
Der ihn in des Reichstags Hallen als Kartellkumpan getragen,
Honig in die Ohren träufelnd den von Anfang geistig Blinden –
Sehen wir in der Versenkung ihn urplötzlich nun verschwinden!
Wie vermaßen sich die Seinen mit fanatischer Geberde,
Daß sich nie der neue Luther einem Machtspruch beugen werde;
Daß er eher auf die Kanzel und aufs Lehramt ganz verzichte,
Als das Werk, das er begonnen, fahneflüchtig feig vernichte!
Wie denn nun? Seid ihr noch immer von Begeistrung für ihn trunken?
Nur ein Wink – und der Gesalbte ist gehorsam auch versunken!
Von der Kanzel wird er wirken donnernd noch und flötend-leise,
Doch sein Werk hat er verlassen – war das etwa Luther’s Weise?
Trat in jenes Mönchleins Auge in der Nacht wohl eine Thräne,
Ehe er sein trotzig Credo warf dem Kaiser in die Zähne?
Nein, wollt ihr das Rüstzeug Gottes, Stöcker, irgendwem vergleichen,
Bleibt mit Luther uns vom Leibe, denn ein Luther darf nicht weichen.
Doch erlaubt, euch ein Andern zum Vergleiche vorzuschlagen,
Einen Mann von gleichem Muthe, einen Mann aus unsern Tagen,
Und dann nennt, - in dem Vergleiche läge sicher etwas Wahres! –
Nennt, der kläglich euch verrathen, Boulanger ihn des Talares!

Collection: 
1893

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(1889.)

Als zu des schönen Friedensfestes Feier
Die Reiche alle la belle France entbot,
Da barg ein jedes hinter dichtem Schleier
Der Wange züchtiges, verschämtes Roth.
Von jedem kam ein höflich kühles Schreiben –
Sie lehnten...

(1890.)

Das giebt ein ehrenreiches Jahr!
Du zwanzigster des Februar,
Wir werden dein gedenken
In hoher Lust, in Mannesstolz,
Bis sie im Sarg von Tannenholz
Uns in die Erde senken.

Nach langer Nacht ein glorreich Licht!
...

So oft ich noch zu Büchern der Geschichte
Geflüchtet mich in stiller, tiefer Nacht,
Der ernsten Sammlung tragischer Gedichte,
Wie sie kein Träumer brennender erdacht,
Hab’ ich die Blätter umgewandt mit Beben
Und scheu geschlossen das gewicht’ge Buch,
...

(Letzte Nummer des „Sozialdemokrat,“ 27. Sept. 1890.)

Ihr habt über ihn das Exil verhängt,
Ihr Ritter von Bibel und Säbel;
Ihr habt an den Fuß ihn der Gletscher versprengt
Und in Englands stickige Nebel;
Doch hat er sich allzeit der Feinde...

Ich habe kaum ein Wort mit dir gesprochen,
Ich habe kaum ins Auge dir gesehn,
Und dennoch hast du meinen Stolz gebrochen –
Ein süßes Wunder ist an mir geschehn;
Doch ward die Saat des Glückes, kaum entsprossen,
Von scharfer Sichel nieder auch gemäht –
...