Draus sah ein schönes Mädchen heraus,
Da trat aus dem Thor ein Jüngling vor,
Der grüßte und winkte so glühend empor;
Sein Mund schwieg, doch sein Auge sprach,
Sie aber grüßte und winkte ihm lange nach
Mit banger Sehnsucht, als wollte ihr Blick
Den Scheidenden wieder bringen zurück;
Und auf ihrem blühenden Antlitz, da lag's,
Wie das Abendroth eines seligen Tags.
Da schritt ich sinnend und still und bewegt,
Das Herz von tausend Gefühlen erregt,
Und schlug in leisen Gedankenverlauf,
Das Buch meiner lieben Erinn'rungen auf,
Und seufzte wehmüthig und sann:
Wie nur die Liebe beglücken kann!
Und ein Jahr später im neuen Mai,
Da ging ich an demselben Haus vorbei.
Am Balkon stand das Mädchen wie eh',
Doch nicht mehr blühend, blaß wie Schnee;
Das Aug' erloschen in Gram und Schmerz,
Die Wange gebleicht, gebrochen das Herz.
Und wie derselbe Jüngling mit scheuem Tritt
Hinschleichend um die ferne Ecke schritt,
Da sieht sie ihn bebend, sie starrt ihm nach,
Und endlich ein Schrei - ein gellendes Ach!
Sie sinkt zusammen bleich und still,
Wie eine Blume, die sterben will.
Sie sank, vielleicht nie wieder aufzustehn,
In ihrem Jammer noch so engelschön,
Und auf ihrem blassen Antlitz, da lag's,
Wie die Ruhe eines Feiertags. -
Still stand ich da, und seufzte und sann:
Wie tief die Liebe betrüben kann!
aus: Gedichte von C. Dräxler-Manfred
Frankfurt am Main 1838
Druck und Verlag von Johann David Sauerländer