Ein Gefangner.
(1852).
Auf des Erzgebirges Kamme
Stand der Berge freier Sohn,
Hohen Geistes Feuerflamme
Schien aus seinem Aug’ zu lohn,
Unter goldnen Lockenhaaren
Glänzt auf hoher Stirn geschrieben:
In dem Dienst des Ewigwahren
Bin ich fest und treu geblieben.
Wie ein Held vergangner Zeiten
Schwert und Leier in dem Arm,
Für das Recht bereit zu streiten
Gegen mächt’ger Feinde Schwarm,
Mit dem Liede, mit dem Schwerte,
Mit der Schrift voll hohem Sinne,
Den Verlassnen ein Gefährte,
Treu und keusch im Dienst der Minne.
Also auf der Heimat Fluren
Blickt er sinnend her um sich
Bei des Frühlings ersten Spuren,
Da der Winter zagend wich –:
„Ein Gefangner!“ hört man flüstern,
Sei’s auch nur von seinem Hüter,
Oder von des Waldes Rüstern,
Die ihn grüßen als Gebieter.
Ein Gefangner schon seit Jahren
Und verurteilt jahrelang,
Weil, die Freiheit zu bewahren,
Er das Schwert im Kampfe schwang –
Und nun heut von seiner Kette
Auf den einen Tag befreit –
Zu des Vaters Sterbebette
Gab sein Wächter ihm Geleit.
Horch! ihn grüßt der Freiheit Lerche,
Die von fern er nur gehört,
Grüßend stehn die alten Berge
Seiner Heimat hoch verehrt.
In dem dunklen Tannenwalde
Tönt’s im Lispeln und im Rauschen:
Sieh! noch bin ich ganz der alte,
Willst mich nicht dem Kerker tauschen?
Wohl bekannt hier alle Wege,
Manch ein sichrer Zufluchtsort;
Fliehe auf vertrautem Stege,
Flieh’ von Deinem Wächter fort!
Also rufen tausend Laute
Lockend in das freie Leben
Dem, der nur den Kerker schaute,
Der noch lang ihn soll umgeben.
Fraß der Gram am Vaterherzen
Um den langgefangnen Sohn,
Daß er stirbt in Sehnsuchtsschmerzen,
Wird der Tod nicht auch bedrohn
Seiner Mutter teures Leben,
Wenn er fort im Kerker schmachtet?
Wird die Braut – er sieht sie schweben,
Winken – und sein Blick umnachtet.
Und er träumt von süßen Wonnen,
Sieht die zitternde Gestalt,
Wie aus ihrer Augen Bronnen
Liebesblick und Thräne wallt –
Weiß, er kann ihr Trauern enden
Kann entfliehn, sich ihr vereinen!
Ihr Geschick in seinen Händen:
Sel’ges Lächeln wird dies Weinen! –
Doch – er hat sein Wort gegeben
Und man hat dem Wort vertraut:
Nicht den Fuß zur Flucht zu heben,
Wenn die Heimat er erschaut.
Seinem Richter, seinem Hüter
Hat im Handschlag er’s versprochen,
Sei’s um alle höchsten Güter:
Nie hat er sein Wort gebrochen. –
Er betritt die heim’sche Hütte,
Küßt des kranken Vaters Hand –
Aus der Seinen trauter Mitte
Tiefbewegt der Wächter schwand.
„Diesem Mann kann ich vertrauen!“
Murmelt er mit nassen Blicken,
„Möcht’ ihn gern wo anders schauen,
Als zurück zum Kerker schicken.“ –
Mit des Vaters letztem Segen
Der Gefangne tritt hinaus;
Ruft dem Wächter leis’ entgegen:
„Führ’ mich wieder in Dein Haus.
Habe Dank für diese Stunden,
Die zum Troste mir geworden!“
Frei und stolz und ungebunden
Kehrt er zu des Kerkers Pforten.