Die Sonnenburg bei Wiesbaden

Dorf Sonnenberg liegt tief im Talesgrunde,
Doch über ihm, hoch wie ein Aar in Lüften,
Erhebt die Burg sich auf der Felsrotunde.

Zerfallen jetzt – doch einst in stolzen Prächten
War Residenz sie eines deutschen Königs,
Und wert darum, daß ihrer wir gedächten.

Der Luxemburger hat hier Hof gehalten
Und manchem wackern Kämpen im Turniere
Den Halsberg und das Helmvisier zerspalten.

Da zog der Minstrel zu der stolzen Veste,
Von Harfenklang erschollen die Kemnaten –
Doch längst zerstoben ist der Schwarm der Gäste.

Zuweilen nur noch, wie der Volksmund kündet,
Erwacht auch hier geheimnisvolles Leben,
Wo Grauen mit der Schönheit sich verbündet.

Um Mitternacht, ganz plötzlich, unvermutet –
Der düst’re Fels träumt von vergang’nen Tagen,
Wenn bleiches Mondlicht seine Stirn umflutet.

Da hallt die Burg von lautem Waffenklirren,
Von Heroldsrufen und Gestampf der Rosse,
Und Schwerterblitze durch das Dunkel schwirren.

Und wieder plötzlich tönen süße Weisen
Zum Lob der Minne zu der Laute Klange,
Es will der Sänger seine Dame preisen.

So hallt’s zuweilen noch in stillen Nächten,
Und wer den süßen Zaubersang vernommen,
Fühlt sich gebannt von wundersamen Mächten.

Mir ward die Mär, als ich im Julibrande,
Vor Jahresfrist, die Sonnenburg erklommen
Und Ausschau hielt vom höchsten Zinnenrande.

Collection: 
1909

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