Die rote Fahne

Inmitten all der bunten Fahnen,
Die auf der weiten Erde wehn,
Und die auf blutgetränkten Bahnen
Voraus den Sturmkolonnen gehn,
Von denen jede mahnt an Leichen
Und an der Schlachten grimme Not
Erhebt sich als der Eintracht Zeichen
Das schlichte, warme, heil’ge Rot.

Nur dieses Banner mahnt hienieden
In all der Bitterkeit und Qual
Mit seinem Rauschen an den Frieden
Und an ein reines Ideal.
Nur dieses Banner will vergießen
Kein Blut auf diesem Erdenrund,
Nur dieses Banner mahnt, zu schließen
Der Völker ew’gen Bruderbund.

Von allem Falschen, allem Bösen,
Von Geistesnacht und Kettendruck
Will dieses Banner euch erlösen
Mit seines Ölzweigs mildem Schmuck.
Ihr solltet jubelnd es begrüßen
Als Kämpfer für der Menschheit Wohl –
Und tretet zornig es mit Füßen,
Als wär’s ein höllisches Symbol!

Doch wär’t ihr noch so stark und mächtig
Und noch so fest in eurem Wahn –
Durchlaufen wird es stolz und prächtig
Trotz alledem die steile Bahn,
Und wo des Abscheus Flüche regnen
Auf seiner Träger treuen Bund,
Da werden einst es dankbar segnen
Die Völker wie aus einem Mund.

Wir haben in den Grund getrieben
Des dreimal heil’gen Banners Schaft
Und stehn zu ihm mit heißem Lieben,
Mit Zuversicht und stolzer Kraft.
Denn wenn die andern all vergehen
Und unsrer Feinde Macht zerschellt,
Wird unser rotes Banner wehen
Als Völkerhort in aller Welt.

Collection: 
1900

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