Der Sandmann

Sie standen weinend ums Bett herum,
Aber der Sterbenden Mund war stumm,
Denn mitten in ihr Klagen und Beten
War still der Tod an ihr Lager getreten.

Und sie konnt' ihn ganz deutlich winken sehn
Und konnt' es doch nimmer und nimmer verstehn,
Daß der Tod, vor dem ihr so bangte und graute,
Mit des Liebsten treulieben Augen schaute.

Und da sprach sie: "Macht doch dem Wilhelm Platz!
Ich dank' dir in Ewigkeit, Amen, mein Schatz,
Du kommst, mir wieder Gesundheit zu spenden
Und hältst gar ein hübsches Geschenk in Händen!"

Und sie lächelt ihn an mit wehem Mund,
Selbst der Tod ihren Blick nicht ertragen kunnt',
Er klopft ans Sandglas; da barst es. Und nieder
Rieselt der Sand auf die müden Lider.

Da schlief sie ein, den tiefen Schlaf,
Darin sie die Sense des Sandmanns traf.
Und sie hörten sie gar nicht seufzen und röcheln.
Um ihren Mund war das selige Lächeln ... 

aus: Hugo Salus Die Blumenschale Gedichte
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1908

Collection: 
1900

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