Der Fischer

"O, gieb mir dich ein Räthsel auf!"
So bat mich jüngst ein Mädchen.
Ich wartete gerade d'rauf,
Und spann ihr dieses Fädchen:

"Es stand ein Stern in ferner Höh',
Und glänzte freundlich Allen;
Der ist in einen blauen See
Einmal hinabgefallen.

Am feuchten Ort gefiel's ihm gut,
Sich trennen konnt' er nimmer;
Und lieblich strahlt aus blauer Fluth
Des Sternleins holder Schimmer.

Da kam ein Fischer jung und fein
Zum Strande hingesprungen,
Dem ist des Sternes Wunderschein
Gar tief in's Herz gedrungen.

Und schnell warf er die Angel aus:
Dich Sternlein muß ich fangen!
Doch ach, er zog sie leer heraus,
Das Sternlein blieb nicht hangen.

So saß er denn bei Tag und Nacht,
Quält' sich manch' liebe Stunde,
Und zum Verzweifeln ruhig lacht
Das Bild auf blauem Grunde.

Und wie nun Mond auf Mond entflieht,
Das Sternlein nicht gefangen,
Ward er des Angelns endlich müd',
Und - ist nach Haus gegangen. -"

Ich schwieg; - das Mädchen sah mich an,
Und sprach mit losem Lachen:
"Du wirst es doch, mein junger Mann,
Nicht wie der Fischer machen?

Denn wer aus blauem Augensee
Der Liebe Stern will bringen,
Der nicht so schnell nach Hause geh'
Vielleicht - wird's doch gelingen!"

Ich hatt' den Hut schon in der Hand,
Wollt' eben leis entwischen;
Ach Gott! nun blieb' ich wie gebannt,
Und - muß noch immer fischen!

Aus: Literarisches Taschenbuch der Deutschen in Russland
Herausgegeben von Jegor von Sivers
Riga Verlag von N. Kymmel 1858

Collection: 
1895

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