Eine Culturlegende.
Von den Höhen des Olympos löst sich eine lichte Wolke,
wandert über Flur und Fluten, rastet über Trojas Volke.
Und die Menge sieht mit Staunen, und die Priester sehn mit Beben
an dem glanzgewölbten Himmel diese eine Wolke schweben.
In den Tempel Aphrodites hasten ihre bangen Schritte;
wo der Göttin uralt Bildnis kauert in der Säulen Mitte,
sinken rings sie in die Kniee, küssen mit der Stirn die Erde,
breiten qualverzückt die Arme, flehn mit brünstiger Geberde:
Aphrodite, große Mutter,
Wollustzeugerin, wonnegebärende,
Deinem Schooß sind wir entsprossen,
Aphrodite Kybele!
Aphrodite, große Göttin,
Allbezwingerin, sinneberauschende,
Deiner Brüste Reiz umfängt uns,
Aphrodite Pandemos!
Aphrodite, Unheil droht uns.
Neidisch fühlen die anderen Göttinnen,
daß wir Deinem Dienst nur glühen;
Schönste, schütze deine Stadt!
Und von dannen zieht die Wolke; unten durch die grünen Matten
auf dem Ilischen Gefilde kriecht ein seltsam blasser Schatten.
Neue Furcht umstrickt die Beter, und sie wagen nicht zu danken,
und ein dunkles Schicksalsahnen will durch ihre Seelen schwanken,
wie der schwergeballte Schatten durch die Ebene sich windet,
langsam, bis er im Gewässer des Skamandros schwarz verschwindet.
Wo des Ida graue Kuppe schimmert in den blauen Lüften,
ringelt sich die Wolke nieder, bleich verschwimmend in den Klüften ...
Dort, in einem Thal, sitzt Paris, seines Vaters Herden hütend,
Priamos des Trojerfürsten, – tief in Jünglingsträumen brütend.
Über seinem Haupt im Laube eines wilden Apfelbaumes
summt der Westwind Melodieen zu den Stimmen seines Traumes.
Gramverdrossen lauscht der Jüngling ihren sehnsuchtschwülen Klängen,
die mit buntverworrnen Bildern in sein heißes Herz sich drängen.
Ich soll im Elend mein Leben vertrauern,
weil ich schöner als Alle bin?
soll hier verbannt sein zu Hirten und Bauern
um meiner Brüder neidischen Sinn?
Warum kann ihnen mein Vater nicht wehren!
Weil mich ein Kebsweib trug an der Brust,
soll ich verzichten auf Glück und auf Ehren?
Ich soll büßen des Vaters Lust?!
Hör’ich die Stimmen hier in mir ringen,
schüttelt mich Unrast in süßester Ruh.
Sage, ach sage, was wirst du mir bringen,
Zukunft, Göttin der Jünglinge du!
In die Ferne, nach der Heimat, glüht sein Blick in dunklem Harme,
und mit zitterndem Verlangen breitet er nach ihr die Arme;
ach, vergebens! sinkt er müde seufzend in den Schatten wieder.
Plötzlich, aus des Baumes Höhe, fällt ein Apfel vor ihm nieder.
Auf der glatten Schale, zitternd, spielt des Mittagslichtes Flimmern,
durch die kummermatten Lider sieht er’s schillern, sieht er’s schimmern,
lange Strahlen sieht er goldig flirrend auf und nieder schießen
um die Frucht, er will sie greifen, sieht im Glanze sie zerfließen,
sieht aus lichten Düften weiche, schlanke Nebelsäulen blauen,
auf sein brennend Auge fühlt er einen linden Schlummer tauen,
wie aus weiten Räumen hört er Stimmen läuten wie von Frauen,
staunt, wie nun die Wolkenwogen winkende Gestalten brauen;
ihm entgegen aus den Nebeln tauchen vor ihm auf die Leiber
eines leuchtend nackten Jünglings, drei gewandumwobner Weiber.
Hermes, der Olymposbote, dehnt vor ihm die leichten Glieder,
und mit seiner Göttermiene neigt er lächelnd sich hernieder:
All dein Trachten, schöner Schläfer,
aller Jugend Trachten ist es,
ist der ew’ge Traum der Menschheit:
Göttern gleich, der Wünsche Fülle
mühelos erfüllt zu sehn.
Unaufhörlich wünscht der Schwache
seines Glückes eigne Wahl sich;
aber darum unaufhörlich
steigen Himmlische gewährend
zu Erkorenen herab.
Sieh: mit ihren Gaben naht dir
jede Göttin des Olympos.
Wähle! Du, der schönste Trojer,
diesen Apfel gieb der Schönen,
die Du für die Schönste hältst.
Und er bückt sich flink zu Boden, aus dem Gras den Apfel nimmt er;
kaum berührt er ihn, und siehe, wie von lautrem Golde glimmt er.
Und so reicht er ihn dem Jüngling. Furchtsam läßt ihn Der fast sinken:
Träum’ich denn? ja nein, ich wache! sah ihn ja vorhin schon blinken,
fühl ihn schwer in meinen Händen. Prüfend will er ihn beschauen,
da – mit stolz gemessnem Gange tritt die Ragendste der Frauen
vor ihn hin. Gebietend steht sie. Und des Jünglings Blicke hangen
scheugebannt an ihrer Stirne, die von Hohheit ganz umfangen.
Und er wagt es nicht zu sehen, wie sie würdeschwer die Hülle
festen Griffes wirft zur Erde, sich entblößt in ihrer Fülle.
Und er horcht, und nur ein Leuchten ihrer blanken Schultern blendet
fast sein schüchtern Auge, nun sie laut ihm diese Worte spendet:
Ich bin Here. Meinem Wunsch
huldigt selbst auch Vater Zeus.
Wahrlich, nicht um Ehren buhlt
des Olympos Königin.
Doch geschmäht hat mich dein Volk.
Ducken sollst du mir dein Volk.
Deines Vaters Thron sei Dein,
würdigst du als Schönste Mich.
Jedes Erdengut sei dein,
aller Reichtum, alle Macht!
Und dein Wort, es sei Gesetz,
und dein Wink sei heil’ges Recht!
Schwer versinkt des Schläfers Atem, und er fühlt sich jäh erblassen,
während mit gewalt’gen Schauern Lust und Furcht sein Herz umfassen.
Aus dem Rausche der Beklemmung schwillt auf einmal ein Begehren,
aber eh er aufspäht, hat sie schon geruht sich umzukehren.
Langhinschleppend die Gewänder sieht er sie vondannen schreiten;
und, aus tiefer Brust erseufzend, schaut er ins Gesicht der Zweiten.
Mit gesenkten Lidern sinnt sie, lässig langt sie nach den Hüften,
von des Kleides dichten Falten den geschuppten Gurt zu lüften.
Und der Jüngling folgt verstohlen ihrer Hand. Da bohrt’s wie Flammen,
zuckt’s wie Blitze ihm ins Auge, und er fährt bestürzt zusammen:
stahlhell treffen ihn der Göttin weiterschlossne Strahlenblicke,
wie sie nun die letzte Spange schnell sich nestelt vom Genicke.
Und verwirrt hört er sie reden, blöde auf den Apfel starrend,
nur der streng geschürzten Lippen flücht’ges Lächeln noch gewahrend:
Höchste Weisheit in dem Rat der Männer,
auf dem Feld der Ehre höchster Ruhm
sollen deinen Scheitel krönen,
krönt dein Mund als Schönste Mich.
Unvergänglich wirst durch mich du herrschen,
noch im Tode wird dein Name herrschen,
herrlicher im Leben herrschen:
Ruhm ist Reichtum, Weisheit Macht!
Und nicht feile Demut sollst du werben
für des Donnrers liebstes Kind, Athene;
deine Stadt sollst du erlösen
aus der Schmach der Üppigkeit ...
Schwerer schwillt und sinkt des Schläfers Atem, seine Pulse springen,
während heiß in seiner Seele Ehrfurcht und Begeistrung ringen.
Hastig will er schon den goldnen Preis der edlen Göttin bieten,
tippt ihm Hermes auf die Achsel: Höre erst noch Aphroditen!
und er stutzt, ein unterdrücktes Lachen meint er zu vernehmen,
stutzt und dreht den Kopf; doch schweigend setzt der Gott sich mit bequemen
langen Schritten, ernsthaft nickend, wieder hin auf seine Hürde.
Unmut wölkt des Schläfers Stirne; nach Athenes keuscher Würde
suchen seine Augen, aber – züchtig ist sie schon verschwunden ...
Und es nahet, schwebend, leise, hold von Locken ganz umwunden,
naht, von wehenden Geweben, naht von Jugend ganz umflossen,
bebend nahet Aphrodite, ganz von zarter Scham umgossen,
und die Lüfte scheinen schmeichelnd sich in ihr Gewand zu schmiegen,
und der Jüngling glaubt den Dichtern, daß sie einst dem Schaum entstiegen.
Aus den langen Wimpern schmachtet feucht ihr Auge ihm entgegen,
zittern bittend ihre Blicke; und ein Rieseln und ein Regen
und ein heimlich süßes Grauen sickert ihm durch Brust und Lenden;
schauen mag er nur und schauen, wie sie nun mit bangen Händen
von den Armen streift die Schleier, wie des Busens weiße Wellen
auf und nieder durch die Spalten ihrer rosigen Finger quellen.
Tiefer tauchen seine Blicke, Nacht will wogend ihn umbreiten,
durch die dünnen Hüllen ahnt er ihres Leibs Verborgenheiten;
schwerer immer ringt sein Atem, wilder, und die Schläfen glühen,
kaum vernimmt er noch die Laute, die von ihren Lippen blühen:
Ach, ich kann nur Liebe geben;
aber jedes Glück sei dein,
jedes, das ich weiß zu weben!
Sage, willst du? bist du mein?
Willst du immer selig sein?
Jedes Weib soll dich begehren,
dem dein leiser Wunsch nur lacht!
Und dein Volk wird staunend ehren,
höher rühmen solche Macht
als des Ruhmes kalte Pracht.
Und das schönste Weib auf Erden,
komm, o komm, ich zeig’es dir!
Und noch schöner soll sie werden,
alle Reize geb’ich ihr,
meine Reize! Schaue: hier –
und in herrlich kühner Freude schwingt die Himmlische den Schleier,
sieghaft blickend, auseinander. Glanzumspielt in göttlich freier
Nacktheit vor dem Jüngling steht sie. Und sie lächelt. Und zu Füßen,
mit dem Preise, der Berauschte, liegt er vor der Anmutsüßen:
„Nimm ihn! gieb mir! gieb mir Liebe! Liebe!“ Da: um seine wirren
steilen Sinne fühlt er’s schwimmen, fließen, flimmern, Flügel schwirren,
bleiche Säulen von Gerüchen, die sich schwül zu Nebeln ballen,
und aus weiten Räumen däucht ihm hohl ein Zwiegesang zu hallen:
Fahre hin, du Sohn der Wollust! hast dir selbst den Stab gebrochen,
hast dir selbst das Urteil, hast es Dir und deiner Stadt gesprochen! –
Und erschrocken will der Schläfer auf vom Boden, da erwacht er,
sieht im Gras den Apfel liegen, und aus hellem Halse lacht er:
Hei, solch Träumen lass’ich gelten! morgen geht’s hinaus ins Weite,
und nach Sparta zu der schönen Helena geht’s auf die Freite,
und dem alten Menelaos raub’ich sie samt ihren Schätzen,
und am Neid der lieben Brüder will ich mich dann weidlich letzen!
Pfeifend langt er sich den Apfel, schleudert lustig ihn gen Himmel,
äugt ihm nach ins Blau, da – sieht er, wie mit schwärzlichem Gewimmel
wirbelnd um des Berges Spitze sich ein Wolkenknäuel rühret;
und ein Ostwind hebt sich plötzlich, der die Wolke mit sich führet,
der sie gärend fortwälzt, bis sie drohend über Troja hanget,
wo, der Liebesgöttin opfernd, alles Volk im Festschmuck pranget.
Seltsam graue Schatten winden sich auf einmal durch die Gassen,
scheu verstummt der tolle Jubel, all die Taumelnden erblassen;
um die Türme, auf den Mauern sehn sie fahl die Sonne glänzen
und mit breitem Saum die Wolke feurig lohend sich umkränzen.
Blutig rote Lichter fliegen unten durch die grünen Auen,
und die Menge sieht’s mit Beben, und die Priester sehn’s mit Grauen;
sehen angstvoll harrend endlich das Gewölk von dannen rollen,
während fernher – über Hellas – finstre Wetterschwärme grollen.