Cherubin

 
Wer bist du die in meines Herzens Tiefen,
die nie der Liebe Sonnenblick durchstrahlt,
mit unbekannter Zaubermacht gegriffen?
Wer bist du süße, reizende Gestalt?
Gefühle, die im Grund der Seele schliefen,
hast du geweckt mit magischer Gewalt;
gefesselt ist mein ganzes, tiefstes Wesen,
und Kraft und Wille fehlt das Band zu lösen!

Seh ich der Glieder zarte Fülle prangen,
entstellt durchs schöngeschmückte Knabenkleid
das süße Rot der schamgefärbten Wangen,
die blöde, knabenhafte Schüchternheit,
das dunkle erst erwachende Verlangen
das brennend wünscht, und zu begehren scheut,
den Flammenblick scheu in den Grund gegraben;
so scheinst du mir der reizendste der Knaben!

Doch seh ich dieses Busens Wallen wieder,
verräterisch durchs neid'sche Kleid gebläht,
des Nacken Silber, gleich des Schwans Gefieder,
vom weichen, seidnen Lockenhaar umweht,
hör ich den hellen Klang der Zauberlieder,
und was ein jeder Sinn noch leis erspäht,
horch ich des Herzens ahndungsvollen Tönen;
so nenn ich dich die Krone aller Schönen!

Schlicht diesen Streit von kämpfenden Gefühlen,
bezähme dieses siedend heiße Blut,
laß meinen Blick in diesen Reizen wühlen,
laß mich der Lippen fieberische Glut
in dieses Busens regen Wellen kühlen,
und meiner Küsse räuberische Flut
soll das Geheimnis dir im Sturm entreißen,
welch ein Geschlecht du würdigst sein zu heißen.

Collection: 
1909

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