Blondel vor Trifels

 oder
Die Befreiung des Richard Löwenherz.

„Wer hält den Aar gefangen,
Der sonst so frei und hoch
Mit seinen starken Schwingen
Zu Gottes Himmel flog? –

Wer schlug den Leu’n in Ketten?
Sein donnerndes Gebrüll,
Es schreckt nicht mehr die Wölfe,
Er blieb zu lange still. –

Von Englands grünem Strande
Erhob der Aar den Flug,
Ihm ist die Schwing’ gebrochen,
Die ihn sonst heimwärts trug.

Sonst würd’ er nimmer weilen,
Der königliche Aar,
Sonst würd’ er wiederkehren
Mit seiner Falkenschar.“ –

Der Blondel sprach’s, der weiland
In König Richards Schloß
Mit seinem Harfenschlagen
Der erste war im Troß. –

„Und will ihn keiner retten,
So rett’ ich ihn allein,
Und muß ich mit ihm sterben,
So soll’s nicht anders sein. –

So leb’ denn wohl, Altengland,
Mein schönes Heimatland,
Ich rette deinen König
Aus Kerkernacht und Band’.

Ich rett’ ihn oder sterbe
Mit meinem Löwenherz,
Ohn’ ihn kann ich nicht leben,
Ohn’ ihn bricht mir das Herz.“ –

Der Blondel hat’s gesprochen,
Und wenn’s ein Sänger spricht,
Der hat noch nie gebrochen
Die heil’ge Freundespflicht. –

Den langen Pilgermantel
Ob seinem stählern’ Kleid,
Mit Muschelhut und Stabe,
Ohn’ jegliches Geleit. –

So hat ein Schiff getragen
Ihn nach dem deutschen Gau,
So zieht allein er weiter
Hinab des Rheines Au. –

Und wo ein Schlößlein raget
Auf felsig steilem Horst,
Und wo ein Hüttchen blinket
Allein im dunk’len Forst,

Da hebt er an zu singen
Von König Richards Leid,
Von seinem Freunde Blondel
Und alter Herrlichkeit. –

Und wo ein Wand’rer lauschet
Dem liederreichen Mann,
Da blinkt auch eine Träne,
Die von der Wimper rann.

Und wenn er ausgesungen,
Dann weint so manche Maid,
Und schaut ihm tief in’s Auge,
Und geht voll Herzeleid. –

Dann zieht er traurig weiter,
Die Brust voll stillen Schmerz,
Bis daß er wieder singet
Von seinem Löwenherz. –

So schwinden Tag’ und Wochen,
Den Sänger kümmert’s nicht,
Er schreitet munter fürder
Bei Mond- und Sonnenlicht. –

Wohl blickt sein Auge trübe,
Wohl wird die Wang’ ihm bleich,
Doch ob auch arm an Freuden,
An Liedern bleibt er reich. –

Zu Trifels vor dem Schlosse,
Da hält ein Spielemann,
Ihr kennt den treuen Blondel,
Er ist’s, ich sag’s euch an. –

Den langen Pilgermantel
Ob seiner Brust voll Harm,
Das stille Weh im Herzen,
Das Saitenspiel im Arm. –

So hält er an der Veste
Im gold’nen Abendstrahl,
Schon blinkt der Mond am Himmel
Und Schatten wirft das Tal. –

Da hebt er an zu singen
Von König Richards Leid,
Von seinem Freunde Blondel
Und alter Herrlichkeit. –

„O England, stolzes England,
Mein schönes Heimatland,
Dein Bote kehrt nicht wieder,
Den du hinausgesandt. –

Dein Blondel hat’s geschworen,
Der Blondel hält sein Wort,
Kann ich nicht mit ihm kehren,
So siehst du mich nicht dort. –

In all’ den grauen Burgen,
Wovon ein Banner weht,
In all den festen Schlössern,
Die forschend ich durchspäht,

Hab’ ich ihn nicht gefunden,
O weh, nun ist es aus!
Vielleicht in Todesnöten
Haucht er die Seele aus. –

Vielleicht schon längst gestorben,
Vermodert sein Gebein,
Und Englands größter König
Schläft ohne Leichenstein. –

O Johann, falscher Johann,
Du sprichst dem Bruder Hohn,
Dein Bruder liegt gefangen,
Du trägst die güld’ne Kron’. –

Dein König liegt in Ketten,
Du trotziger Vasall,
Doch sollt’ er wiederkehren,
So bringt er dir den Fall. –

An dieser grauen Veste
Sei meines Lebens Ziel,
Hier will ich einsam sterben
Bei meinem Saitenspiel.

Und wenn das Lied verhallet,
Von dem die Saite bebt,
Dann soll die Saite springen,
Dann hab’ ich ausgelebt. –

O Richard, schöner Richard,
Wo weilest du so lang,
O komm’ zu deinem Blondel,
Er ruft dich mit Gesang.

O komm’ zu deinem Blondel,
Er hat die Brust voll Schmerz,
Er sehnt sich nach dem Freunde,
Nach seinem Löwenherz. –

Ich hab’ manch’ Jahr gesungen,
Ich zog von Ort zu Ort,
Ich wollte dich befreien,
Ich schwur’s mit Hand und Wort.

Ich hab’ dich nicht gefunden,
Mein Leben geht zu End’,
Mein Herze ist gebrochen,
Ich leg’s in Gottes Händ’. –

So leb’ denn wohl, mein König,
Leb’ wohl zur letzten Stund’,
Die Harf’ hat ausgeklungen,
Mich macht der Rhein gesund. –

Und wo er ist am tiefsten,
Da bett’ ich mich hinein,
Dann schläft dein treuer Blondel
Auch ohne Leichenstein.“ –

„O Blondel, guter Blondel,
Dein Richard ist nicht fern,
Könnt’ ich nur zu dir eilen,
Wie tät’ ich es so gern. –

Die dicken Mauern hemmen
Des kühnen Herzens Drang,
Doch kann ich dich nicht sehen,
Ich höre deinen Sang.“ –

„O Gott, o Gott, mein König,
Mein Richard Löwenherz,
So hab’ ich dich gefunden,
Nun endet aller Schmerz. –

Wenn dich die Ketten drücken,
Ich sprenge Kett’ und Band’,
Ich führe meinen König
Nach Englands grünem Strand.“ –

„O Blondel, guter Blondel,
Du lehrst mich hoffen neu,
Schon wähnt’ ich mich vergessen
Von aller Lieb’ und Treu’. –

In öden Kerkernächten,
Wie sehnt’ ich mich nach dir,
Der Freund und meine Harfe,
Sie fehlten beide mir.“ –

„Sei guten Muts, mein König,
Dein Blondel hat gewacht,
Sie nahmen dir die Krone,
Sie warfen dich in Nacht. –

Sie haben dich versenket
Bei Molch und Natternbrut,
Doch Gottes Vaterauge
Hielt dich in seiner Hut.“ –

„O Blondel, guter Blondel,
Dich hat mir Gott gesandt,
Du wirst mich treulich führen
Nach meinem Engeland. –

Du wirst die Kron’ aufs neue
Mir setzen auf das Haupt,
Die mir der eig’ne Bruder
So schnöde hat geraubt.“ –

„Sei guten Mut’s, mein König,
Kurz ist der Trennung Schmerz,
Bald werd’ ich wiederkehren
Gehüllt in Stahl und Erz. –

Merk’ auf, was ich dir künde:
Wenn jetzt die Sonne steigt,
Und wenn sie wieder sinket,
Wenn sich der Abend neigt,

Dann harrst du hier am Gitter,
O merke wohl mein Wort,
Dann werd’ ich wiederkehren
Mit starker Mannenhort. –

Und wenn die Harfe klinget,
Dann Richard, sei bereit,
Ich bring’ dir Schwert und Panzer
Und sicheres Geleit. –

Bald wirst du wieder sitzen
Auf Englands stolzem Thron,
Und deine Harfe schlagen,
Geschmückt mit gold’ner Kron’.“ –

„So geh’ mit Gott, mein Blondel,
Und ende meinen Schmerz,
Dir wird es ewig danken
Dein Richard Löwenherz.“ –

Der Blondel hat’s versprochen,
Und Blondel hielt sein Wort,
Von jeher ist der Sänger
Der heil’gen Treue Hort. –

Bald trug ein Schiff sie schnelle
Zum schönen Britenland –
Der Aar hat wieder Flügel,
Den Löwen hielt kein Band. –

Hier end’t die Mär von Blondel,
Dem treuen Spielemann,
Prinz Johann floh geächtet,
Ihn traf des Eidbruchs Bann. –

Er hat nicht lang’ getragen
Die güld’ne Königskron’,
Dem guten Sänger Blondel
Blieb ew’ger Treue Lohn. –

Collection: 
1909

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