Begrabene Liebe

 
I.
Einst hat vor deines Vaters Haus
Gesäuselt die Traubenblüte;
Die Liebe hat wie ein Rosenstrauß
Geduftet in meinem Gemüte.

Die Trauben wurden zu Wein seit lang,
Die Rosen sind abgefallen;
Der alte Duft, der alte Klang,
Die mußten verwehn, verhallen.

II.
Und wenn ich dich jetzt wieder seh',
Bewegt mein Herz sich kaum;
Da thut mir's in der Seele weh
Daß alles Glück nur Traum.

Wie wir geliebt einst und geglüht,
Vergessen hätt' ich's bald;
Dein schönes Antlitz ist verblüht,
Ach! und mein Herz ist kalt.

Bedenk' ich wie in Lust und Schmerz
Du mein warst und ich dein,
Da könnt' ich weinen daß ein Herz
Kann gar so treulos sein.

III.
Sind das die Augen, kinderhaft,
Die mich so oft entzückt?
O schau' mich an mit jener Kraft,
Die mir den Sinn verrückt.

Wohl funkeln sie so prächtig her,
So mächtig wie zuvor -
Doch finden sie das Schloß nicht mehr
An meines Herzens Thor.

IV.
Ist das der Mund, der süße Mund
Der mich so oft geküßt?
Mir ist, ob ich zu dieser Stund'
Ihn wieder küssen müßt'.

Umsonst reichst du die Lippen her
Die sonst mich schier verbrannt -
Die Lippen kennen sich nicht mehr
Die sich so gut gekannt.

V.
Armes Herz! nicht länger wühle
In der Asche der Gefühle;
Von der Flammen stolzem Prunken
Blieben nur Erinn'rungsfunken.

Ach! wir mußten uns entfernen
Und allein zu leben lernen,
Lernen uns allein zu laben -
Lieben heißt sich nötig haben.

VI.
Eine Locke hab' ich noch von dir,
Die du mir in schöner Nacht gegeben;
Ist mir doch, als könnte ich an ihr
Alte Zeiten aus dem Grabe heben.

Wie ich gleich die alte Lust und Qual
In des Herzens tiefstem Grunde spüre,
Wenn ich diese Locke nur einmal
Mit den Fingerspitzen leis berühre!

Kind! Dein Haar ist doch so reich und licht,
Aber wenn ich das lebend'ge fasse,
Weckt es die begrabne Liebe nicht
Wie die Locke, die verstorbne, blasse.

VII.
Schau' mich nicht an
Mit Augen voll Versprechen,
Es heilt kein Wahn
Das Bündniß das zerriß;
Es hält kein Erz
Die Ketten, die zerbrechen,
Es gleicht kein Herz
Dem Herzen das man ließ.

An meiner Brust
Kannst du nicht wieder blühen,
Die alte Lust
Verscheucht das junge Glück;
Der Rosenstrauß
Muß seinen Duft versprühen,
Er haucht ihn aus
Und nimmt ihn nicht zurück.

VIII.
Unsre Liebe ist nun ausgeträumt,
Seel' um Seele haben wir gegeben;
Wohl uns! daß wir keinen Kuß versäumt,
Eh' wir's dachten, faßte uns das Leben.

Klage nicht! es kann nicht anders sein -
Unsre Lust war eine strenge, herbe;
Manche Blume weckt ein Frühlingsschein,
Daß vom Reif der nächsten Nacht sie sterbe.

Mit der Freiheit schwanger geht die Zeit,
Und sie wird im Sturmgeheul entbunden;
Wo der Geist im Kampfe sich befreit,
Da empfängt das arme Herz die Wunden.

Neues Leben leb' in neuer Welt!
Sieh', der Liebe Maß ist vollgerüttelt;
Kämpfe gibt's, wo selbst das Weib ein Held,
Wenn die Menschheit ihre Ketten schüttelt.

IX.
Nun liegst Du tief im Grunde
Und schlummerst Nacht und Tag -
Es traf mich diese Kunde
Als wie ein Keulenschlag.

Und glaubt' ich dich verloren,
Vergessen lange Frist -
Scheinst du mir neu geboren,
Seit du gestorben ist.

Du warst in fernen Landen,
Jetzt bist du ganz verreist -
Jetzt hab' ich erst verstanden,
Ach! was verlieren heißt.

X.
Nun blick' ich unabwendig
In die Vergangenheit,
Da wirst du mir lebendig
In deiner Lieblichkeit.

Dies Lächeln, dies Erröten,
Und dieses Leides Pracht -
Natur! wie kannst du töten
Was du so schön gemacht?

XI.
Nächtlich oft in wachen Träumen
Steiget vor mir auf dein Bild,
Schaut mich an so tief und innig
Mit den Augen braun und mild.

Mit den großen Kinderaugen,
Die ich oft dir zugeküßt;
Und mir ist als ob ich wieder
Sie mit Küssen schließen müßt'.

Als sie langsam untergingen
In der Flut der Todesnacht,
Hast du wohl, nach Osten schauend,
Noch einmal an mich gedacht.

Ach! nicht ich hab', als du starbest,
Weinend mich herabgebückt,
Und die treuen Augen dir zum
Ew'gen Schlummer zugedrückt.

Wie! nun können sie nicht schlafen,
Die nicht Liebe zugethan;
Und sie öffnen sich und schaun mich
Vorwurfsvoll und bittend an.
  XII.
Du liegst im fernen Westen
Am stillen Ozean
Bei fremden Todesgästen
Im grünen Uferplan.
Ich kann dein Grab nicht sehen,
Ob Weiden über ihm wehen,
Ob Lilien auf ihnen stehen
Und Rosmarin und Thymian.

Ich sende die kleinen Lieder
Den blauen Himmel entlang,
Sie lassen sich singend nieder
Auf deinen Grabeshang.
Sie schluchzen laut und weinen,
Und werden sie still, die kleinen,
Singt über deinen Gebeinen
Das große Meer den Klaggesang. 

Collection: 
1874

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