Begegnung

Du hast mich längst verlassen,
Längst hin ist Lust und Weh';
Doch rührt mein Herz sich leise,
Wenn ich dein Antlitz seh'.

Dein Reiz ist lang verwelket,
Mir blühet ewig jung
Auf deinen bleichen Wangen
Sel'ge Erinnerung.

Es steht die alte Gasse
Sehnsüchtig vor mir da,
Wo ich am Sonntagmorgen
Zum ersten Mal dich sah.

Die abendliche Laube
Ergrünt in gold'nem Strahl,
Da ich dein rosig Antlitz
Geküßt zum ersten Mal.

Und alle Liebespfade
Eröffnen sich vor mir,
Die ich in blauen Tagen
Gewandelt einst mit dir.

All' deiner Liebe denk' ich,
Der Falschheit denk' ich nicht!
Mir weht wehmüth'ger Friede
Von deinem Angesicht.

Dein Herz nur möcht' ich fragen,
Ob es nun glücklich sei;
Da blickst du bang zu Boden,
Ich gehe rasch vorbei.

Du hast mich längst verlassen,
Längst hin ist Lust und Weh';
Doch rührt mein Herz sich leise,
Wenn ich dein Antlitz seh'.

Collection: 
1859

More from Poet

  •      

    Das Mondlicht ist versunken kaum,
    Herr Odin sitzt am Galgenbaum,
         Die Todten reden leise.

    „Ihr drei Gesellen über mir,
    Nun saget an, was raunet ihr?“
         Die Todten reden leise.

    „Wir harren auf klein wild Waltraut,
    Die Zeit wird lang...

  • Ich saß in finstrer Trauer,
    Mir war das Herz so schwer, -
    Da kam aus dunkler Ferne
    Einsam ein Stern daher.

    Er glänzt wie eine Thräne,
    Die stille Sehnsucht weint,
    Die wie ein Blick der Hoffnung
    Aus treuen...

  • Und weil ich denn von dannen muß,
    Und all' mein Glück vergangen,
    So laß dich mit bethräntem Kuß
    Ach, einmal noch umfangen!

    O blick' mir nicht so sehniglich
    Hervor aus deinen Thränen!
    Es soll hinfort kein Auge sich...

  • Dein Antlitz ist kein heißer Tag,
    Es ist ein milder Mondenschein;
    Dein Herz bewegt kein wilder Schlag,
    Der Friede Gottes schließt es ein.

    Mein Auge glüht, mein Auge ist wild,
    Sein einz'ger Friedensstern bist du,
    Und...

  • VI.

    VI.
    Ich bin erwacht von wilden Träumen,
    Du aber schlummerst sanft und mild.
    Schon will ein Grau die Wolken säumen,
    Doch schweigend liegt noch das Gefild.

    Da ruht dein Leib! – In sanfte Wellen
    Ist aufgelöst der...