Auf dem Wege nach Rom

Auf dem Wege nach Rom unter Pinien fand ich ein Mädchen -
Oder war es ein Weib? - eng einen Säugling im Arm.
Lieblich war sie und voll; unter herrlichen römischen Flechten
Formt sich zum reinsten Oval blühend ihr schönes Gesicht;
Unter geschwungenen Brau'n bedrohten mich feurig zwei Augen,
Wie ich schönere nie, auch nicht im Traume, gesehn.
Unter Pinien saß sie und drückte den lächelnden Knaben
- Fühlt' er die Wonne des Orts? - fest an die wogende Brust.
Armes Jahrhundert, wo zögert dein Raffael, dacht' ich, im Grünen
Sitzt hier das schönste Modell, harrend der göttlichen Kunst!
Und ich saß neben ihr. "Ein Dichter bin ich aus Deutschland,
Auf dem Wege nach Rom hat mich die Sonne verwirrt."
Und sie blitzte mich an: "So schließe die Augen, du Armer!"
- "Grausame, neidest du mir, was mich, vernichtend, beglückt?"
Und ich legte den Arm um ihre Schultern; ein Weilchen
Fühlt' ich den göttlichen Leib warm an der pochenden Brust.
Da erwachte das Knäblein; und sie, vom Moos sich erhebend,
Reichte es lachend mir hin: "Sing' mir den Knaben in Schlaf!
Aus dem sprudelnden Quell im Walde bring' ich den Trunk dir,
O, er sänftigt dein Blut!" Sprach's und verschwand im Gebüsch.
Auf dem Wege nach Rom unter Pinien saß ich und wiegte -
Sehnsucht füllte mein Herz - singend das Kindlein in Schlaf.
Und ich sang und sang und wiegte Eia popeia,
Doch das römische Kind weinte zum rauhen Gesang.
Strampelnd streckt es die Händchen aus seinem ärmlichen Kissen,
Plötzlich, wie ist mir geschehn?, strampelt sich Amor heraus!
Und er schwebt über mir und zwinkert lustig die Äuglein:
"Ach, ich kenne dich wohl, deutscher Dichtergesell!
Erst mit Eia popeja beschwichtigt ihr schläfrig den Knaben,
Fliegt euch Amor vorbei, - macht ihr ein dummes Gesicht!"
Lächelnd flog er davon. Und lachend klang's aus dem Walde,
Wie ein Echo: "Was macht der für ein dummes Gesicht!" 

aus: Hugo Salus Gedichte
Zweite durchgesehene Auflage
Albert Langen Verlag für Litteratur und Kunst
München 1901

Collection: 
1900

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