I.
Mild ist die Nacht, die Maiennacht;
Der Mond vom blauen Himmel lacht.
Die Sterne funkeln hell und klar. -
Im Walde sitzt ein Liebespaar.
Sie ruhen, Brust an Brust gepreßt;
Sie pressen Lipp' an Lippe fest.
Sie sehen nicht der Sterne Gang;
Sie hören nicht den Hochgesang
Der Nachtigall im grünen Baum:
Sie ruh'n in sel'gem Liebestraum!
Bei Lust und Kuß die Stunden fliehn;
Er schaut nur sie und sie nur ihn!
Doch Eins im Aug' des Anders schaut
Den schönsten Frühling, hold und traut,
Doch Eins schaut in des Andern Blick
Des Himmels Lust, des Himmels Glück. - -
Da spricht die Maid mit leisem Flehn:
"Geliebter, laß uns heimwärts gehn!
Helf' Gott mir, wenn die Mutter wüßt',
Daß ich, Geliebter, Dich geküßt!
Wie sprach so oft der Mutter Mund:
Nie schließen Reich und Arm den Bund!
O, meine Ehre! Gott erbarm'!
Sieh, du bist reich und ich bin arm!"
Der Jüngling hört's, der Jüngling schwört,
Daß er auf ewig ihr gehört.
"So wahr ich Dir ins Auge seh',
Ich lass' Dich nicht in Lust und Weh'!
Marie, noch sterbend schaut' ich gern
In Deines Auges Morgenstern!
Ich schwör's dir zu: ich laß dich nie!
Auf ewig bist Du mein, Marie!" - -
II.
Der Winter herrscht. Die Nacht ist kalt;
Im Mondenschimmer liegt der Wald.
Ein jeder Zweig, von Reif bekränzt,
Im hellen Schein des Mondes glänzt.
Kein Vogel singt, kein Blümlein sprießt;
Im Thal nicht mehr die Quelle fließt.
Verschwunden ist die letzte Spur
Des Sommers längst von Wald und Flur. -
Am Rand des Dorfes steht allein
Ein Bauernhüttchen, arm und klein.
Im Hüttlein auf der Lagerstatt,
Da ruht ein Weib, erschöpft und matt.
Das Antlitz kündet Gram und Harm;
Sie hält ein kleines Kind im Arm.
Am Bett des Weibes Mutter spinnt;
Sie spricht: "Schlaf ein, schlaf ein, mein Kind!" -
Horch, Fußtritt auf der Diele hallt
Und horch, ein "Guten Abend" schallt,
Und zu dem dürft'gen Pfühle dann
Mit sachtem Schritte geht ein Mann.
Wie den die junge Mutter schaut,
Da wimmert sie und seufzet laut.
Sie spricht und hebt empor das Haupt:
"Du hast mir Ehr' und Glück geraubt!
Was tratst Du helfend nicht herfür,
Als mir Dein Diener wies die Thür?
Wie ward's um's Herz mir heiß und kalt,
Als er mich "schlechte Dirne" schalt!
Dein Liebeswort, Dein heil'ger Schwur
War Lüge, alles Lüge nur!"
Die Augen mit der Hand bedeckt
Der junge Mann, und eilend steckt
Er in des Weibes Hand sodann
Ein Röllchen Geld. Dann geht der Mann.
Da kreischt empor das Weib im Schmerz:
"Ich armes Weib! Verrathnes Herz!
Du Falscher, sieh' die Qual, das Leid!
O, sei verflucht in Ewigkeit!
Ich gab mich nicht für Deinen Sold!"
Sie schreit's und wirft hinweg das Gold. - -
III.
Und wieder ist es Frühlingszeit
Und wieder singt von Liebesleid,
Von Liebeslust, von Liebesmacht
Die Nachtigall die ganze Nacht. -
Im Haus des reichen Kaufherrn heut'
Der Tod ob einem Haupte dräut.
Die Diener gehn mit leisem Gang;
Der junge Herr ist sterbenskrank.
Am Krankenbett' die Mutter sitzt;
Des Kranken Aug' im Fieber blitzt.
Es redet irr' des Kranken Mund;
Er spricht von sel'ger Liebesstund'.
Die Mutter spricht mit sanftem Ton:
"Schlaf ein, schlaf ein, geliebter Sohn!" -
"O Mutter, sieh' die Augen dort!
Die Augen fort, die Augen fort!
In tiefster Seele thut's mir weh,
Wenn ich die blauen Augen seh'."
Die Mutter wendet das Gesicht:
"Jetzt schaust Du, Kind, die Augen nicht!"
Sie weint und fleht mit bangem Ton:
"Hilf, Gott, hilf, Gott, dem kranken Sohn!
Vom Himmel gnädig niedersieh',
Du heil'ge Gottesmagd Marie!"
Da schreit der Sohn mit wildem Schrei:
"Im Herzen brennt's! Marie verzeih'!"
Die Mutter betet: "Niedersieh,
O Gott! O, bet' für uns, Marie!
An Dich, Gebenedeite, geht
Ja auch des Kranken Flehgebet!"
Der Kranke ruft auf's Neu' "Marie"
In wilder Fieberphantasie.
Die Mutter betet immerzu:
"O hilf, Du heil'ge Jungfrau, Du!"
Der Kranke ächzt. Ein leiser Schrei;
Ein Seufzer dann! Es ist vorbei. - - -
Drei Tage später, als die Nacht
Auf's Neu erwacht mit Sternenpracht,
Als süß von Lieb' mit hellem Schall
Im Walde sang die Nachtigall,
Da hat beim Nachtigallenlied
Ein Weib an einer Gruft gekniet.
Das hat geschluchzt in tiefem Schmerz:
"Dir ist verzieh'n, gebrochnes Herz!" (S. 129-135)