Amor-Vampyr

Im hellen Herbstwald auf buntem Laub
Waren wir wie Kinder und küßten uns
Unschuldig in linder Liebe.

Bubenmädel, Bubenmädel,
Wie lachten deine Augen, die hellen, braunen,
Wie lag dein liebes Köpfchen so leicht auf dem Laube,
Und leicht auch lagen meine Lippen auf deinen.

Aber die Nacht kam auf Katzenpfoten,
Die schwarze, schwere, schweigende Nacht,
Und schwül wars im Zimmer.
Das gelbe Licht der schwebenden Lampe lag
Wie leuchtender, feuchter Nebel über dem Raum,
Und deine Augen fragten ängstlich aus dem gelben Dämmer.

Braune, brütende, unselige Augen.
In ihnen braute, tief unten, tief,
Brodelnder giftiger Gischt.

Oh du, du, du!

Und über dich hin warf mich die Wut der Liebe.

Und unsre Lippen lasteten aufeinander,
Wie alle schmerzlichen, sehnsuchtschmachtenden Sünden zweier Sterne,
Die sich im wirbelnden Weltall treffen
Und klagegellend sich umklammern.

Oh du, du, du!

Und meine Augen gruben sich in deine,
Und meine Arme wanden sich um deinen Leib wie Raubtierpranken;
Und es stöhnte deine Brust,
Und deine Augen irrten wie verflogene Tauben.

Sie suchten den hellen Herbstwald
Und die Kindheit unsrer Liebe
Im bunten Laube.

Und fanden nicht und wurden schmerzenstarr
Und höllebrünstig heiß und hackten in mein Herz
Wie schwarze Adlerschnäbel.

Oh du!

Oh du!

Matt sank mein Haupt dir in den Schooß.
Du bebtest.

Dann sprachst du leise wirre Worte und weintest.

Und deine Augen wurden wieder hell.

Weißt du es wohl, was zwischen uns geschehn?

Der Haß hat uns gepaart in wildem Kampf,
Der Haß von Mann zu Weib und Weib zu Mann,
Die heiße Gier, sich einzusaugen das fremde Herz
Und jeden Tropfen Blutes und jeden Atemzug.

Mein Herz und dein Herz haben sich geschaut im Kampfe,
Und kämpfend sich durchdringend sind sie in Eins geflossen.

Du bist nun ich, doppelt ist meine Seele.

Wird sie je leben
Können ohne dich?

Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe.
Verliebte launenhafte und moralische Lieder
Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1900
Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 272-275)

Collection: 
1885

More from Poet

Daß deine Hand auf meiner Stirne liegt,
Wenn mich das Sterben in der Wiege wiegt,
Die leis hinüber ins Vergessen schaukelt,
Von schwarzen Schmetterlingen schwer umgaukelt.
Ein letzter Blick in deine braunen Sonnen:
Vorüber...

 
Dämmerung mit den milden, grauen Augen
Schreitet über die Erde.
Kühl weht ihr Atem,
Weich und kühl,
Milde wie ruhiger Atemzug
Eines schlummergeküßten,
Backenroten Kindes.
An lauschender...

 
Charlotte, lotte, lotte,
Heißt meine Wäscherin,
Sie bringt mir selbst die Wäsche,
Weil ich ihr Liebster bin.

Und hat sie nichts zu bringen,
So kommt sie ohne was,
Kein Tag geht ohne Lotte,...

 
Auf einem jungen Rosenblatt
Mein Liebster mir geblasen hat
Wohl eine Melodei.
Es gab mir viele Dinge kund
Das Rosenblatt am roten Mund
Und war kein Wort dabei.

Und als das Blatt zerblasen war,
Da...

Pandora
Als ich heute früh im schönen Parke,
Der voll lauter Birken steht, spazierte,
Sah ich (nun, ihr brauchts ja nicht zu glauben)
Eine nackte Dame auf mich zugehn.

- Sag, wer bist du, sprach ich, nackte...