Am Fenster

Ich weiß wohl, daß sie nie mehr kommt,
Nie mehr die dunkelroten Vasen
Taufrisch mit Wiesenblumen schmückt,
Daß sie zu mir herunternicken
Und Küsse hauchen, blütenzart,
In denen deine Seele duftet ...

Ich weiß wohl, daß sie nie mehr kommt, -
Doch täglich, wenn die Dämmerung schleicht
Und grauen Staub in alle Ecken
Mit langgespitzten Fingern streut,
Täglich lehn' ich aus off'nem Fenster
Und hab' in meinem Blick den Weg,
Wo sonst dein Händchen hochgewinkt ...

Der Schlächter streicht die weiße Schürze.
Die Milchfrau rundet sich so voll.
Der Schuster putzt die Ladenfenster,
Nimmt eine Prise sich und niest,
Daß wir sein Echo fangen können ...

So sah ich's oft, so seh ich's heut';
So werd' ich's morgen wiedersehen,
Lehn' ich durchs Fenster meine Stirn,
Tagtäglich mit gesenkten Wimpern.
Und weiß doch, daß sie nie mehr kommt,
Nie mehr kommt ...

aus: Ausklang. Neue Gedichte aus dem Nachlaß
von Ludwig Jacobowski
Herausgegeben und mit Einleitung versehen
von Dr. Rudolf Steiner
Minden in Westf.
J. C. C. Bruns Verlag 1901

Collection: 
1884

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