Abendschweigen

Zu deinen Füßen saß ich still und träumend,
Mein Aug' in deines Auges Glut getaucht,
Dein ganzes Sein mit meinem Blick umsäumend.

Der Sonne Liebesfackel war verraucht,
Im Scheidekuß entbrannten Berg und Hügel,
Von tiefster Stille Seligkeit umhaucht.

Und Alles schwieg! Mit regungslosem Flügel
Auf Blumen lag die Biene, duftberauscht.
Der Abend hielt den wilden Wunsch im Zügel,

Was schäumt und tobt und Schmerz um Schmerzen tauscht
Gefesselt lag's an seiner Rosenkette.
Und Alles schwieg! Als ob Natur gelauscht

Und regungslos den Sinn gerichtet hätte
Auf einer Offenbarung Gottesklang,
Die nicht vernommen wird auf ird'scher Stätte,

Und nie zum engen Menschensinne drang,
Nur als Geheimniß bebt in grünen Zweigen,
Als Ahnung tönt im Aeolsharfensang,

Uns Grüße sendet durch der Blumen Neigen
Und unbegriffen, unerkannt vergeht,
Begraben in des Abend's heil'gem Schweigen. -

Wir schwiegen auch! die Erde war verweht
Und Leid und Lust erstickt von Himmelsküssen,
Wir schwiegen; uns're Seele war Gebet.

Doch was aus Blumenkelchen wollte grüßen,
Als Ahnung durch die Aeolsharfe haucht,
Die Zweige als Geheimniß bergen müssen,

Und was als Gottesfunke still verraucht -
Uns ward es klar, als ich in Traum versunken,
Zu deinen Füßen, stumm mein Aug' getaucht
In deines Auges Gluten liebestrunken.

Collection: 
1894

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