XXXIX.

Wenn aus den nie erforschten Quellen,
Aus uns'res Herzens tiefstem Grund
Der Liebe Wogen drängend schwellen,
Dann gibt es sich im Kusse kund.

Es ist ein Branden der Gefühle,
Es gleicht des Meeres Wogenguß;
Die bange Seele seufzt nach Kühle,
Ein Wetterleuchten ist der Kuß!

Betrachte nur die jungen Rosen,
Sie ruhen sanft, sie schlummern still,
Bis Sehnsucht, liebevoll zu kosen,
Nicht länger träumend zögern will.

Dann springt der Knospe zarte Hülle,
Wie Seufzer aus verliebter Brust
Ergießt sich süßer Düfte Fülle,
Die Liebe naht mit Leid und Lust!

Und wie die Flamme zieht zur Flamme,
Und wie der lichte Perlenthau
Die Perle saugt vom Nachbarstamme
Auf farbenbunter Maienau:

So zwingt es auch verwandte Seelen,
Wenn laut der Liebe Ruf erschallt,
Daß sie im Kusse sich vermählen - -
Die Seele ist's, die überwallt!

Collection: 
1854

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