Tabernakel

1. Bekenntniß
Ja, mein Gott, Du bist zugegen, -
Rhätsel, das die Liebe schafft, -
Nicht nur Deiner Gnade Segen,
Nein, Du Selber bist zugegen,
Gott- und Menschheit wesenhaft!

Ja, mein Gott, Du bist zugegen,
Thronest hier in Wunderkraft!
Daß wir Deiner Nähe pflegen,
Hält Dich Liebe hier zugegen
In der Broderscheinung Haft.

Ja, mein Gott, Du bist zugegen!
Mag die neue Heidenschaft
Uns mit Spott und Bann belegen,
Doch, mein Gott, bist Du zugegen,
Bis an's Ende, wesenhaft!

2. Einkehr am Morgen
O Jesu, ich begrüße Dich
Im trauten Gotteshaus!
Lind flutet Frühlingsmorgenlicht
Durch's Fenster ein und aus.

Am Tabernakel spielt der Schein,
Späht nach der Brodgestalt;
Durch Blätterschatten, Blütenduft
Ein Vogelgruß erschallt.

O Menschensohn, so nah, so traut,
O Lenzeskönig hold,
Heut bist Du königlich geschmückt
Mit Licht und Sonnengold.

Wohl wär' es wonnig ruhen hier,
Dir singen leisen Sang,
Und still belauschen nur von fern
Geschäft'gen Alltagsdrang.

Du Menschensohn, gib Deinen Gruß
Mir mit, dran über Tag
Still sich erinnernd, still erquickt
Die Seele zehren mag!

3. Abhaltung vom Besuch
Drüben, da drüben
Wohnet mein Hoher;
Aber gefesselt
Muß ich vorüber,
Darf Ihn nicht sehen,
Nicht Ihn besuchen,
Nicht zu Ihm sprechen,
Wie mir gefällt.

Aber es fliegen
Grüße hinüber,
Grüße herüber,
"Grüße Dich, Hoher!"
""Grüße dich, Seele!""
"Kann heut nicht kommen,
Muß hier vorüber;
Morgen doch komm' ich,
Morgen doch lieg' ich
Dir ja zu Füßen,
Morgen Dir bring' ich
Alle Beschwerde
All' meine Liebe,
Mit Dir zu sprechen,
Hoher, mit Dir!"

4. Trost des Heimatlosen
So lang an einem Kirchlein
Ein Pförtchen knarrt,
Wo still der Herr verborgen
Der Gäste harrt,
So lang bin ich auch hüben
Nicht herberglos,
Bis ich heimate drüben
In Himmelsschooß.

5. Das ewige Licht
Daß hier Du weilest
Still, wo die Ampel brennt,
Und Gnad' ertheilest,
Jesus im Sakrament,
O Gott, wer faßt es,
Himmel, wer denkt es aus,
Solch hohen Gastes
Huld für solch Haus!

Führt spät im Dunkeln
Hier mich der Weg vorbei,
Weckt Lichtes Funkeln
Mich aus dem Vielerlei
Von Weltgedanken;
Plötzlich durch meinen Sinn
Zuckt hell ein Danken:
"Jesus hier drin!"

6. Der einsame Heiland
Saget nicht, in unsern Tagen
Sei die Einfalt ausgegangen,
Die so herzlich glaubt und liebt!

O wie lieblich sprach das Mädchen,
Sprach das junge Schweizermädchen:
"Herzlich Mitleid mich beweget,
Wenn ich in der Nacht erwache
Und gedenke, wie so einsam
In den Kirchen weit und öde
Nun der gute Heiland weilt;
Zur Gesellschaft dann entsend' ich
Meinen Engel schnell zu Ihm."

O wie lieblich sprach das Mädchen!
O wie traulich spricht die Einfalt,
Die so herzlich glaubt und liebt!

7. Die Nachtigall
Als ich zum ersten Male,
Vom Schlafe schnell erwacht,
O Nachtigall, dich hörte,
Laut klagend durch die Nacht, -
O Schmerz, o Kraft, o Inbrunst,
O liebesdurst'ger Schall!
Ist dieß ein Vogel? Ist es
Die Seelennachtigall?

Des Bräutigames Stimme,
Die mächtig klagend frei't
Aus stiller Tempelklause
Durch Nacht und Einsamkeit?
O Schmerz, o Ernst, o Sehnsucht,
O liebesdurst'ger Schall!
Gibst du dem Gott die Stimme,
O Vöglein Nachtigall!

Collection: 
1865

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