Sehnsucht

 
Wie eine leise Glocke klingt
Die Sehnsucht in mir an;
Weiß nicht, woher, wohin sie singt,
Weil ich nicht lauschen kann.

Es treibt das Leben mich wild um,
Dröhnt um mich mit Gebraus,
Und mählich wird die Glocke stumm,
Und leise klingt sie aus.

Sie ist nur für den Feiertag
Gemacht und viel zu fein,
Als daß ihr bebebanger Schlag
Dräng in die Lärmluft ein.

Sie ist ein Ton von dorten her,
Wo alles Feier ist;
Ich wollte, daß ich dorten wär,
Wo man den Lärm vergißt.

Aus: Otto Julius Bierbaum – Irrgarten der Liebe.
Verliebte launenhafte und moralische Lieder
Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1900
Im Verlage der Insel bei Schuster und Loeffler Berlin und Leipzig 1901 (S. 6-7)

Collection: 
1885

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