Piramus und Thisbe

Der junge Piramus in Babel
Hat in der Wand
Sich nach und nach mit einer heißen Gabel
Ein Loch gebrannt.

Hart an der Wand, da schlief sein Liebchen,
Die Thisbe hieß,
Und ihr Papa auf ihrem Stübchen
Verderben ließ.

Die Liebe geht so, wie Gespenster,
Durch Holz und Stein.
Sie machten sich ein kleines Fenster
Für ihre Pein.

Da hieß es: liebst du mich? da schallte:
Wie lieb ich dich!
Sie küßten stundenlang die Spalte
Und meinten sich.

Geraumer ward sie jede Stunde,
Und manchen Kuß
Erreichte schon von Thisbens Munde
 Herr Piramus.

In einer Nacht, da Mond und Sterne
Vom Himmel sahn,
Da hätten sie die Wand so gerne
Beiseits getan.

Ach Thisbe! weint er; sie zurücke:
Ach Piramus!
Besteht denn unser ganzes Glücke
In einem Kuß?

Sie sprach: ich will mit einer Gabe,
Als wär ich fromm,
Hinaus bei Nacht zu Nini Grabe,
Alsdann so komm!

Dies wird Papa mir nicht verwehren,
Dann spude dich.
Du wirst mich eifrig beten hören,
Und tröste mich.

Ein Mann ein Wort! Auf einem Beine
Sprang er für Lust:
Auf Morgen Thisbe! küß ich deine
Geliebte Brust.

 Sie, Opferkuchen bei sich habend,
Trippt durch den Hain,
Schneeweiß gekleid't, den andern Abend
Im Mondenschein.

Da fährt ein Löwe aus den Hecken,
Ganz ungewohnt,
Er brüllt so laut: sie wird vor Schrecken
Bleich wie der Mond.

Ha, zitternd warf sie mit dem Schleier
Den Korb ins Gras
Und lief, indem das Ungeheuer
Die Kuchen aß.

Kaum war es fort, so mißt ein Knabe
Mit leichtem Schritt
Denselben Weg zu Nini Grabe -
Der rückwärts tritt,

Als hätt ein Donner ihn erschossen:
Den Löwen weit -
Und weiß im Grase hingegossen
Der Thisbe Kleid. -

Plump fällt er hin im Mondenlichte:
So fällt vom Sturm
 Mit unbeholfenem Gewichte
Ein alter Turm.

O Thisbe, so bewegen leise
Die Lippen sich,
O Thisbe, zu des Löwen Speise
Da schick ich mich.

Zu hören meine treuen Schwüre
Warst du gewohnt;
Sei Zeuge, wie ich sie vollführe,
Du falscher Mond!

Die kalte Hand fuhr nach dem Degen
Und dann durchs Herz.
Der Mond fing an sich zu bewegen
Für Leid und Schmerz.

Ihn suchte Zephir zu erfrischen
Umsonst bemüht.
Die Vögel sangen aus den Büschen
Sein Totenlied.

Schnell lauschte Thisbe durchs Gesträuche
Und sah das Gras,
Bedeckt von einer frischen Leiche
Von Purpur naß.

O Gott, wie pochte da so heftig
Ihr kleines Herz!
Wie hob ihr braune Haar geschäftig,
Sich himmelwärts.

Wie flog sie - zieht, ihr blassen Musen,
Den Vorhang zu!
Dahinter ruht sie, Stahl im Busen:
Gott welche Ruh!

Der Mond vergaß sie zu bescheinen,
Von Schrecken blind.
Der Himmel selbst fing an zu weinen
Als wie ein Kind.

Man sagt vom Löwen, sein Gewissen
Hab ihn erschröckt,
Er habe sich zu ihren Füßen
Lang hingestreckt.

O nehmt, was euch ein Beispiel lehret,
Ihr Alten, wahr!
Nehmt euch in Acht, ihr Alten! störet
Kein liebend Paar.

Collection: 
1909

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