Bei Dir sah ich die Rosen blühen,
Ich folgte Dir durch Wald und Au,
Wir schauten still den Tag verglühen,
Es kühlte uns des Abends Tau.
Wie weich die Luft, wie zaubrisch helle!
Dein Auge feucht, Dein Blick so mild
Und auf des Stromes flücht'ger Welle
Wiegt schaukelnd sich des Mondes Bild.
Wie hab' ich ganz und voll genossen
Des Sommers und der Liebe Lust!
Die süßen Bilder sind zerflossen,
Doch blieb die Freude in der Brust.
Da ist kein Bangen und Verzagen,
Kein Seufzen nach verlornem Glück:
Ein jeder von den schönen Tagen
Ließ Reiz und Duft in mir zurück.
Sind längst entblättert auch die Rosen,
Sie blühen stets im Herzen mir;
Die Welle rauscht, die Lüfte kosen
Und alles träumt und spricht von Dir.
Da hat der Tag nicht eine Stunde,
In der ich treu nicht Dein gedacht
Und macht der Mond die stille Runde,
Sag' ich Dir leise: Gute Nacht!
Nicht um Vergangnes laß mich klagen,
Nein, hoffend mich der Zukunft weih'n;
Du schiedest mit des Sommers Tagen -
Mir bleibt der Trost: Auch Du denkst mein!
Zwei Herzen, die sich ganz verstehen,
Ob eines von dem andern schied;
Ich weiß, ich muß Dich wiedersehen -
Bis dahin grüße Dich mein Lied!
aus: Deutsche Lyriker seit 1850
Mit einer litterar-historischen Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen
Herausgegeben von Dr. Emil Kneschke
Siebente Auflage Leipzig Verlag von Th. Knaur 1887