Das Königskind

 
Es schleicht durch meine Brust sich sacht
Und will sich feucht in's Auge stehlen,
Ich fliehe: was Dein Blick entfacht,
Nicht könnt' ich's länger Dir verhehlen.

Ein schmerzend Heimweh faßt mich an,
Wenn meine Augen an Dir hangen,
Wenn unter Deines Blickes Bann
Vergess'ne Träume mich umfangen.

Ein Heimweh, wie nach fernem Land,
Nach jenen sonnenhellen Tagen,
Da ich, ein Kind, mit scheuer Hand
Das Märchenbuch ergriff mit Zagen,

Und heimlich mich zum Garten stahl,
Hier durft' ich meinen Drang beschwichten,
Verstohlen las der Sonnenstrahl
Mit mir die rührenden Geschichten;

Der ernste Baum, der lose Wind,
Die durften, was ich las, erfahren:
Ich las vom holden Königskind
Mit blauem Aug' und gold'nen Haaren;

Wie das den Hirtenknaben fand,
Mit ihm am Bache spielend weilte,
Bis daß sein Herz es und sein Land
Und alle Schätze mit ihm theilte.

Die Sonne sank mir zu geschwind,
Nicht schlief im Schlummer mein Verlangen,
In Sehnsucht nach dem Königskind
Ist meine Kindheit mir vergangen.

Mit blauem Aug' und gold'nem Haar
Hab' ich es endlich jetzt gefunden -
Doch ach! der seiner würdig war,
Der Knabe ist schon längst verschwunden!

aus: Gedichte von Albert Traeger
Neunte vermehrte Auflage
Leipzig Verlag von Ernst Keil 1873

Collection: 
1873

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