Frühlingslieder

(An dieselbe)

I.
Euch alle hat mein Ohr vernommen,
Ihr Frühlingsvögel, groß und klein;
Ihr wohntet alle auf zwei Lippen, -
Und diese Lippen waren mein.

Das war ein wonnevoller Frühling,
Wie ich ihn nimmer wiederseh', -
Und doch ward's auf der Erde Winter,
Die Welt lag tief in Eis und Schnee.

II.
Nun ist es Frühling auf der Erde,
Und Vögel singen weit und breit,
Ich wandle unter lauter Rosen,
Und dennoch weiß ich nicht Bescheid.

Denn Winter ist's in meinem Innern,
Mein Herz ein Grab, der Schnee sein Flor,
Darüber zuckt die Wintersonne
Und küßt Demanten d'raus hervor.

Da blitzt und flirrt, die Augen schmerzen,
Wenn man es wagt darein zu schau'n;
Das blitzt, wie die Millionen Thränen
Um die Verlorenste der Frau'n.

III.
Verschmachtet in der Hitze Rosen,
Welkt Lilien in der Mittagsgluth,
Verstummt und sterbt ihr Nachtigallen, -
Auch ich weiß, wie das Sterben thut;

Ja, was viel mehr noch schmerzt als Sterben.
Die mir einst sang die Nachtigall,
Und die dereinst für mich geblühet
Die Rosen und die Lilien all:

O daß sie nur gestorben wären, -
Das wär' erträglicher Verlust!
Sie wachsen jetzt für einen Jeden,
Und blüh'n und jauchzen voller Lust.

IV.
Nur einen Frühling hat's gegeben,
Nur einen, seit die Erde steht,
Und glaubt, er kehret nimmer wieder,
Bis diese Welt in Trümmer geht.

Da sah aus jedem Blumenkelche
Ein Engelangesicht hervor,
Und Lerchen brachten Sangesopfer
Voll wie der Seraphimen Chor.

Nur einen Frühling hat's gegeben,
Und nimmermehr erneut er sich,
Jetzt zahl' ich ihn mit meinem Leben:
Das war die große Zeit, da ich

In Deinen königlichen Armen,
An Deiner göttinhaften Brust
Zusammenschauderte und zuckte,
Mir keiner Erde mehr bewußt.

V.
In jeder mitternächt'gen Stunde
Hebt sich aus meines Busens Grab
Die unvergeßlich Unvergess'ne,
Die ich darein begraben hab'.

Doch kommt sie nicht im Nebelkleide,
Auch nicht im bleichen Grabgewand,
Sie kommt in Gala und Geschmeide,
Coquet den Fächer in der Hand.

Sie lacht und kichert voll Erwartung,
Und zeigt den kleinen schmalen Fuß;
Nun hebt sich die Brocatportierre, -
Und jetzt Umarmung, Kuß um Kuß.

Mir aber klappern laut die Zähne,
Losringet sich ein Fluch mit Macht, -
Da bebet scheu der Spuk zusammen,
Und mich umfängt die tiefste Nacht.

Collection: 
1860

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