1.
Über die Ferne hin,
Täler hin, Berge hin,
Durch alle Tage und Nächte hin,
Sing ich zu dir, o Geliebte.
Hörst du mich?
Lausche dem Rauschen der Bäume im Regen,
Lausche dem Winde, der über die Halme
Mit dem zärtlichen Fittiche hinstreift,
Lausche dem holden Munde der Nacht;
Lausche in dich.
Lausche geschlossenen Auges, höre,
Höre dein Herz, das rauschende, höre,
Höre dein Blut: es trägt meine Stimme,
Trägt meine Liebe durch all dein Leben:
Zu dir, um dich
Tönt mein Rufen,
Tönt meine sehnsuchtsvolle Seele,
Die dich sucht.
Über die Ferne hin,
Berge hin, Täler hin,
Durch alle Tage und Nächte hin
Sing ich zu dir, o Geliebte,
Singt meine Seele zu dir.
2.
Wenn mein Herz auch müde ist,
Müde von zu vielen Schmerzen,
Ist dies müdeste der Herzen
Doch zu dir in Glut entbrannt.
Ach, daß du mir ferne bist.
Doch mein Herz ist deiner Güte,
Wie dem Himmelslicht die Blüte,
Sonnenstrahlenzugewandt.
Und so wird durch deine Strahlen
Aller Schmerzen, aller Qualen
Bald mein Herz entladen sein,
Denn der Liebe Licht heilt schnelle.
Sende, spende deine Helle,
Du mein lieber Sonnenschein.
Aus: Der neubestellte Irrgarten der Liebe.
Um etliche Gaenge und Lauben vermehrt.
Verliebte, launenhafte, moralische und andere Lieder,
Gedichte und Sprüche aus den Jahren 1885 bis 1905
von Otto Julius Bierbaum Insel Verlag Leipzig im Herbst 1906