Von Deinem Bild an der Schreibtischwand
spann in der Nacht eine Spinne die Fäden
wie leibhaftige Sehnsucht zu meinem,
das ihm nahe genüber hing.
Als nun der erste Morgenstrahl
über das zarte Gespinste lief,
leuchtete golden die Brücke mich an.
Wahrlich! eine zaubrische Brücke
ward des luft'gen Gewebes Faden,
und mit der alles-segnenden Sonne
wandelte selig die Liebe hinüber
und herüber, verklärend, verklärt.
Darf ich der Gottheit Gruß draus erschauen?
Eint sie, was wehvoll das Leben verwehrt?
Gerne will ich das Zeichen so deuten,
leise mir sagend: Zart, wie die Fäden
dieses leichtesten Luftgespinstes,
sind die Fäden auch unsrer Liebe.
Gleichwie des Sonnenlichts zitternde Strahlen
über das Traumgewebe gleiten:
also dürfen auch auf der Brücke
- heilig und hehr unsre Herzen verbindend -
nur die leichten, leuchtenden Stapfen
himmlisch verklärter Liebe schweben.
aus: "Lichtlein sind wir"
Eine Auslese aus allen Liederbänden
von Karl Ernst Knodt
Jubiläumsausgabe zum 16. Juni 1916
Müller & Fröhlich Verlagsbuchhandlung München