Der Ungetreue

Er schwur es einst beim Mondenlicht,
Er wollt' die Treu mir brechen nicht.
Ich seh' den Mond jetzt fragend an:
Warum er dennoch es getan?

Er schwur es einst beim Sonnenschein:
Er wollte ewig treu mir sein!
Die Sonne scheinet immerdar
Auf ihn, der dennoch treulos war. -

Und bei den Bergen schwur er mir:
Sie wanken eh'r, als ich von dir!
Die Berge stehn noch hoch und hehr,
Doch er, er liebt mich nimmermehr.

Er schwur's bei einem Ring von Gold:
Daß er mich nimmer lassen wollt'.
Der Ring hält fest an meiner Hand,
Sein Herz ist aber abgewandt. -

Bei einem Kreuze schwur er mir,
In Leid und Freud' gehör' ich dir.
Das Kreuz, es steht auf festem Grund,
Doch nichts thut sein Gelöbniß kund.

Er schwur's bei einem Blumenkranz:
Dies sei der Liebe Sinnbild ganz!
Ohn' End' und Anfang wär' er mein -
Und konnte dennoch treulos sein?

So tausend Schwüre gab er mir
Und alle sagten: gebt mich ihr!
In meines Herzens Heil'genschrein
Grub ich die heißen Schwüre ein.

An Sonn' und Mond, an Berg und Ring
Die Seele gläubig hoffend hing;
Das Kreuz umschlang der Blumenkranz
Mit duft'gem Farbenspiel und Glanz.

Wie thöricht war dies all' von mir,
Wie konnt' an Treu' ich glauben hier,
Wo Alles sterblich, Alles Staub,
Und Lieb' fällt heim dem Zeitenraub? -

Drum scheine Sonne, Mondenlicht,
Ihr Berge steht, ich klage nicht;
Drum brich nicht, Ring, und dufte, Kranz,
Und leuchte Kreuz in ew'gem Glanz.

Drum welke Liebe immerhin,
Du trübtest nimmer meinen Sinn;
Denn Glaub' und Liebe, Treu und Schwur,
Sie sind ja Erdenkinder nur.

Dort wo der Mond, die Sonne gehn
Und Sternenkränze glühend stehn,
Dort ist vielleicht das sel'ge Land,
Wo Lieb' und Treu' die Heimath fand.

aus: Deutschlands Dichterinnen
von H. Kletke
Zweite vermehrte Auflage Berlin 1882

Collection: 
1888

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