29.

Ach, wer löset das Räthsel mir wohl der bangen Erwartung,
Scheidet den ewigen Streit zwischen dem Dunkel und Licht?
Hurtiger schafft mir den Geist und die lauschenden Sinne die Hoffnung,
Und doch täuscht sie den Geist, täuschet die Sinne mir stets.
Seh' ich ein weißes Gewand hinflattern, so ruft mir die Sehnsucht
Leis' in das Ohr: Sieh da, siehe, das Liebchen erscheint!
Und doch gleichen die Grazien nur in der schlanken Gestalt dir,
Und nur Idalia wähnt süßer zu lächeln wie du.
Nahet ein Schritt zum Gemach sich heran, stets ist er mir dein Schritt,
Und doch schwebte der West nimmer so leise wie du.
Jeglicher Ton, der mein horchendes Ohr trifft, scheinet mir dein Ton,
Und doch täusch' ich mich nie, Musen, in eurem Gesang.
Wenn du mich lockst mit dem schmeichelnden Wort, wenn die reizende Wange
Schüchtern ins dämmernde Roth künftiger Küsse sich taucht,
Ach, dann bin ich besiegt, treu wähn' ich die Schwüre der Treue,
Und doch weiß ich zu gut, Schmeichlerin, daß du betrügst!

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Collection: 
1841

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12.

Laulich schlüpfte der West durch des Harzwalds schauriges Dunkel,
Ueber den felsigen Höhn spielte das Abendgewölk,
Sehnsucht rieselt' im Quell, und im Berghain rieselte Sehnsucht,
Sehnsucht wiegte sich her auf dem entfernten Geläut,
...

11.

Liebchen, o komm zum ländlichen Fest, das ich heute bereitet,
Wahrlich, im fröhlichen Kreis fehlte die Grazie sonst!
Sieh, zur arkadischen Flur ward rings der verödete Harzwald,
Hoch am schroffen Gebirg winket der Tempel der Lust.
...

10.

Bringst du vielleicht, was jetzt du mir sangst in traulicher Stille,
Einst in die Hände des Volks, zu der Gebildeten Ohr,
O dann tilge den Namen hinweg der Geliebten und jedes
Deutende Wort, denn hart richtet der kalte Verstand!
Also...

9.

Liebchen, wie leben wir doch so wundersam? Sind wir denn wirklich
Eins in das Andre verliebt, oder betrügt uns der Schein?
Traulich sitzen wir oft, und es scherzt muthwillig der Leichtsinn
Ueber das tiefe Gefühl, über ein schwärmendes Paar;
...

8.

Amor, himmelgeborener, komm, nicht jener, der sinnlos
In's wildwogende Meer frevelnder Lüste sich senkt,
Nicht du verderblicher Gott, der tief in die Herzen den Pfeil uns
Schleudert und hoffnungslos ewige Gluthen erweckt:
Nein, du reizendes...